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Ecce Homo

In den Stanzen des Vatikan, jenen Repräsentationszimmern, die Raffael und seine Werkstatt dekorieren durften, gibt es ein delikates Detail. Besser gesagt sind es zwei Details, zwei Porträts, die auf einem Bild ein und die selbe Person zeigen. Sie finden sich auf einem Fresko, das die Begegnung des Papstes Leo I. mit dem Hunnenkönig Attila zeigt. Im Gefolge des Oberhirten werfen sich die obligatorischen Kardinäle in die Brust, und obwohl das Ganze im 5. Jahrhundert spielt, haben sich in die Konterfeis der Dargestellten Gesichter von Zeitgenossen der Hochrenaissance geschlichen. So gehören die feisten Bäckchen von einem der stolzen Reiter dem Kirchenfürsten Giovanni de Medici, dem Sohn des großen Lorenzo aus Florenz. Exakt zu der Zeit allerdings, als Raffael an der Szenerie arbeitete, war der amtierende Papst, Julius II, gestorben. Und eben Giovanni aus dem Hause Medici war unter dem Namen Leo X. zu dessen Nachfolger aufgestiegen. Um Gelegenheiten nicht verlegen, arrangierte der neue Würdenträger es dahingehend, dass seine Züge auch in das Antlitz des Pontifex Maximus gegossen wurden. Giovanni taucht also zweimal auf, als Kardinal und als Papst. So mag er sich durchaus gefallen haben: Leo X. ging in die Geschichte ein als der genussfähigste aller Päpste. Vielleicht haben wir Zeitgenossen des Jahres 2005 nun den leidensfähigsten von allen gesehen. Wie Johannes Paul II. sich beim Sterben abkonterfeien liess und der christlichen Moral von der Würde aller Lebewesen eine Präsenz verlieh, die allein deswegen katholisch war, weil sie bildhaft war, konnte einem, ob man es für richtig hielt oder für falsch, unter die Haut gehen. Johannes Paul war ein starker Papst, weil er gegen alle Liberalisierungen, die nichts anderes sind als Kompromisse mit dem Konkurrenzdruck der Ökonomie, auf den Eigensinn der Kirche setzte. Dieser Eigensinn war reaktionär, doch eine Institution, die von der Anhaltendheit dessen lebt, dass es sie gibt, bedarf einer solchen Trotzigkeit. Den Eigensinn bewahrte sich der Papst auch im Sterben. Dieser Würdenträger, den die Italiener in bestem Ressentiment "il Woityla" nannten, lieferte für das doppelte Mysterium eines menschlichen Stellvertreters für einen Gott, der als Mensch gestorben war, den Leitfaden des ureigenen Leibs. "Ecce Homo" lässt sich das Neue Testament diesbezüglich vernehmen. Was für ein Mensch. Und wie Leo X. wusste Johannes Paul, wie man Gottgewolltheit repräsentiert. Eben doppelt. The Pope`s Two Bodies: Der Papst ist tot, es lebe der Papst.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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