Werbung
,

Harald Szeemann 1933 - 2005

Das Ein-Mann-Theater

Als er am 11. Juni 2003 seinen 70. Geburtstag feierte, saß er im Flugzeug. Die Mutter aller Biennalen, die venezianische, hatte gerufen, und Harald Szeemann wollte nachsehen, wie es ihr jetzt geht. "Ich bin der Grossvater aller unabhängigen Kuratoren", sagte der Altmeister, als wir uns kurz vorher anlässlich seiner Balkan-Schau, die er für die Sammlung Essl eingerichtet hatte, trafen. Es galt, die Sippschaft zusammenzuhalten.

Bevor er in den Kunstbetrieb wechselte, hatte er ein Ein-Mann-Theater auf die Bühne gestellt, und er betrieb es bis zu seinem Lebensende am vergangenen Freitag. Seine "Agentur für geistige Gastarbeit", 1969 gegründet, war einhergegangen mit seinem Ausscheiden aus der Kunsthalle Bern, der er mit der Dekaden-Revue "When Attitudes Become Form" eine Jahrhundertschau verschafft hatte. Zwanzig Jahre lang, von 1981 bis 2001, hat Szeemann dann mit dem Kunsthaus Zürich zusammengearbeitet, allerdings, und auf diese Feststellung legte er Wert, ohne "Mitglied des Staff zu sein und ohne Pensionsberechtigung". Eben als Freiberufler.

Dazwischen, davor und daneben hatte er Ausstellungen ins Werk gesetzt. Seine documenta fünf von 1972 erwies sich als die bedeutendste, denn sie hatte aufgeräumt mit den fixen Wahrheiten und das Prinzip permanenten Wandels in die Statik der Präsentationen gebracht. "Individuelle Mythologien" nannte man mit dem vielleicht erfolgreichsten Begriff, den Szeemann kreierte, die neuen Unwägbarkeiten. Parallel zum aufkommenden Wildwuchs entstand die Figur eben des Kurators, des seinerseits individuellen Mythologen, der die Schneisen schlug in die Unübersichtlichkeit.

"Von der Vision bis zum Nagel" lautete sein ganz dem Do-It-Yourself verschriebenes Motto. Seine Arbeits- und Wohnsituation in Tegna im Tessin, zusammen mit seiner Frau Ingeborg Lüscher in Betrieb gehalten, nannte er "Fabrik". Und weil er als Patriarch wusste, dass man nichts aus der Hand geben darf, arbeiteten sein Sohn und seine Tochter in der Zwischenzeit mit: "Die Tochter macht in der letzten Nacht dann meistens die Schildchen".

35 Jahre lang stand Szeemann da als Monument des Menschenmöglichen. Und er gab wie kein anderer dem Ausstellungen Machen eine Moral. Er war überzeugt, etwas bewegen zu können, etwas für die Künstler und etwas für die Häuser. "Die Dimension einer Welt, einer temporären Welt" sollte erstehen; dafür brauchte es Zeit, Überlegung und so etwas Altmodisches wie Hingabe: "Eine Ausstellung und dann in drei Wochen wieder eine, das geht nicht; das ist nicht seriös." Ob sich denn Großausstellungen von der Statur der documenta denn nicht sowieso überlebt hätten? Antwort: "Das Prinzip hat sich auf eine Art und Weise nicht überlebt, wie sich etwa Wallfahrtsorte nicht überlebt haben."

Ganz einfach Berge versetzen: Harald Szeemann war der Prophet im Weltdorf.

Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
jetzt beginnen erst die mythologien
christian maryska | 21.02.2005 12:53 | antworten
ich habe harald szeemann 1996 bei den vorbereitungsarbeiten zur ausstellung „illusion-emotion-realität“ kennengelernt. im gegensatz zu vielen anderen kuratorInnen hat er sich einige stunden zeit genommen, um objekte auszuwählen. gleichzeitig hat er mit seiner entspannten art die leihgeber für sich gewonnen. 1997 habe ich ihn dann auf der documenta X getroffen, die ihn nicht wirklich überzeugt hat und über die er ein wenig gespöttelt hat. er stand ganz nahe von broodthaers „wiedererrichtetem“ fiktiven museum. daneben lief das video von der documenta 5 mit dem hippie-szeemann aus dem obenstehendes bild ist. er war zeuge seiner eigenen musealisierung geworden. die zweite und dritte generation der geistigen gastarbeiter braucht jetzt nicht mehr gegen den übervater und propheten anzukämpfen, obwohl ich dachte, mit dieser pranke wird er sicher über neunzig jahre alt und noch unzählige projekte durchführen. r.i.p.
warten auf nächste jahrhundert, noch besser auf godot..
hgfader | 28.02.2005 07:58 | antworten
ein mythos muß tod sein, sonst wär er ja keiner. jetzt kommen erstmal die, die vollmundig den szeemann gekannt haben. persönlich! zumindest einen oder eine kennen der ihn kannte. und dann all die tollen coolen kuratoren, die mit nordfleischcharakter, die, die sich auch plötzlich berufen gefühlt haben als "ausstellungsmacher" aber mit hofstaat durch diverse kunsthäuser zu gurken! denen ist zwar nun die schablone abhanden gekommen. das macht aber nichts. wichtig war denen eh nur wieviel man mit kunst und künstler verdienen kann.. und wenn interessiert es schon daß der szeemann allein die kunst und künstler mochte. das sollt auch mal gelernt werden. möglicherweise das szeemannsche erbe

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: