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Gespenster

Im ersten Weltkrieg, da war das so eine Sache mit den Deutschen und ihrer Kapitulation. Da unterwarfen sie sich bedingungslos dem Diktum der Alliierten, obwohl die mit ihren Truppen etliche Hundert Kilometer von der Grenze entfernt waren. Nie zuvor in der Geschichte wurde eine Niederlage besiegelt, wo der Sieger noch so weit weg war von seinem Ziel. Im zweiten Weltkrieg, da war das ebenfalls so eine Sache mit den Deutschen und ihrer Kapitulation. Da flogen ihnen die Bomben um die Ohren, und die Straßenkämpfe tobten schon im Hausflur. Ergeben aber wollten sie sich nicht. Nie zuvor in der Geschichte war eine Niederlage so total. Nicht einmal dreißig Jahre lagen zwischen der einen und der anderen Strategie, dem Prinzip Kapitulation ins Auge zu sehen. Der himmelschreiende Unterschied bedarf mithin der Erklärung. Sie besteht nicht einfach im Terror, den die Nazis ausübten und die Kaiserlichen bleiben ließen. Offenbar hat es eher mit der Hingabe zu tun, die man, solange es das noch gab, dem Reich und dann, als buchstäblich nichts anderes mehr geblieben war, dem Führer angedeihen ließ. Auch wenn man sozialpsychologische Erklärungen nicht für sehr tauglich hält, der Geschichte beizukommen: In dieser wahnwitzigen Weigerung, der Niederlage ins Auge zu sehen, drängen sie sich auf. Die Deutschen (die Österreicher lassen wir aus Platzgründen eben beiseite) und ihr Hitler. Im Moment fühlen sie sich ihm wieder besonders nahe. Zum einen lassen sie Bruno Ganz für ihn einspringen, und der soll durch die pure Nachahmung das Gespenst bannen. In jeder Mimesis äußert sich aber auch Begehren: Könnte ja sein, dass es immer noch klappt mit der Faszination. Zum anderen dürfen die Ex-DDRler mittlerweile ja auch wählen, und nachdem es drüben deutscher zugeht und ungebrochener und mit weniger Scheu vor den großen Namen, haben sie dort reichlich dem rechten Lager zugesprochen. Zwar sehen dessen An-Führer eher wie Göring aus als dass sie dem Gröfaz und seiner seltsamen Askese glichen, aber man muss sich eben einen Nationalsozialismus mit menschlich-allzumenschlichem Antlitz vorstellen, genau, wie der Herr Reichsmarschall ihn verkörperte. Auch so läßt sich ein Gespenst bannen. Ja, und dann gibt es nun in der Hauptstadt die Flick-Collection zu bewundern. Auch da ist man auf die Gespenster aufmerksam geworden, und der Großsammler ist im Angesicht der Diskussion zum Äußersten gegangen, hat ein Gemälde von Martin Kippenberger gekauft und es in die Ausstellung hängen lassen. Das Bild ist dessen Meisterwerk und gereicht jeder Kollektion zur Ehre. Jeder, und womöglich dieser ganz besonders: In der Ausstellung hängt also das ungelenke Zueinander von balkenartigen Gebilden, in schmutzigen Schwarz-, Weiß- und Rot-Tönen, das da den Titel trägt "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken". Wirklich wahr, in Deutschland kann man beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken. Am wenigsten im Moment.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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