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Diesseits und jenseits des Traums: 100 Jahre Lacancan

Es ist schon merkwürdig, wie sich aufgeklärte, hinlänglich demokratisierte und mit allen Wassern der Gesellschaftskritik gewaschene Zeitgenossen in Zirkel fügen, die spiritistischen Sitzungen nicht unähnlich sind. Dort lesen, interpretieren, sterndeuten sie dann die Geheimlehren des Jacques Lacan, der festen Überzeugung, dass sich seinen ohnehin absichtsvoll hermetischen Texten, die dadurch noch esoterischer werden, dass sie meist nur als Seminarmitschriften überkommen sind, eine Logik entlocken läßt. Lacan-Lektüre ist reine Auslegung. Kein Wunder, daß die absoluten Meister in dieser Exegese jene sind, die sich darüberhinaus mit Kunst herumschlagen. Nun wäre der Chefdenker, Psychoanalytiker, Strukturalist, Philosoph gerade hundert geworden. Das ist Grund genug, ihm eine Ausstellung angedeihen zu lassen. Die von Brigitte Huck und August Ruhs besorgte Zusammenstellung von Lacan-Hommagen übt sich dabei in bemerkenswerter, nicht lautstark genug zu lobender Zurückhaltung. \"Diesseits und jenseits des Traums\", so der Titel der Schau, ist weit entfernt von jener Verblasenheit, die sich so gern als \"Diskurs\" bemäntelt, weit entfernt von jenem Eingeweiht-Tun, die den Spezialisten nicht mehr vom Initiierten zu unterscheiden vermag. Lacans Meisterdenkerei bediente sich mit Vorliebe mathematischer Begriffe, die gleichwohl nicht präzis benutzt werden. Die Ausstellung dagegen zeigt eine Möbius-Schleife in Neon von Cerith Wyn Evans oder gemalte Strichknäuel von Walter Obholzer. Lacan war jahrzehntelang Besitzer von Gustave Courbets pornografischem Close Up eines weiblichen Unterleibs, der heute im Musée d\Orsay hängt. Irwin aus Laibach und der Russe Dimitri Gutow berufen sich in ihren Arbeiten auf diese Peep Show-Pose und stellen sie nach. Lacan selbst fand seine Gedanken am besten in Bildern des Provencalen Francois Rouan wieder, und eben dessen Collagen zieren nun die Ausstellung. Et cetera. Die Ausstellung verfährt im besten Sinn illustrativ mit Leben und Werk des Ego- Mythomanen. Durch die schiere Umwandlung ins Visuelle wird Lacans nebulöse Metaphorik zu konkreter Motivik. Lacancan und Derridada sind tatsächlich strikt vermieden.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Diesseits und jenseits des Traums
30.11.2001 - 27.01.2002

Sigmund Freud Museum
1090 Wien, Berggasse 19
Tel: +43 1 319 15 96
Email: office@freud-museum.at
http://www.freud-museum.at
Öffnungszeiten: täglich 10.00-18.00 h


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