Of Cores
Ästhetische Differenzierung und Verdichtung im Begriff Corecore
Ohne Zusammenhang, Form, Inhalt, Gehalt. Auf das brachialste heruntergebrochen, in einem Video, das ein ganzer Social Media Feed in sich ist, in der Zufälligkeit erschreckend ehrlich. Was man sieht, ist stumpfe Alltäglichkeit. Scrollen in ein Digest zusammengeschnitten. Ist das banal oder bemerkenswert? Ist das Absicht in eine Zufälligkeit zwingen?
Cottagecore, Weirdcore, Dreamcore, alles ist to the core, zum Innersten. Der minutiöse Narzissmus mit denen Haare und Ästhetiken gespalten werden, zwingt jedes Ornament in eine Nische. Jedes Schleifchen bekommt eine Überschrift, zur Klarstellung, in welchen core es denn nun hineinpasst. Es ist irgendwie romantisch, der grauen Mondänität eine so feierliche Überschrift zu verleihen - denn im Grunde ist es nichts, außer Alltag. Corecore ist der Nukleus von allen Ästhetiken. Wird im Farbkasten alles zusammengemischt, kommt man am Ende bei braunem Ennui heraus. Es wirkt schon obsessiv, jedem Motiv eine Ästhetik zuzuschreiben und jeder Ästhetik ein core, Wäre es nicht schon überheblich genug, dem ganzen eine eigene Überschrift aufzukleben, reicht diese nicht einmal aus. Es muss der Kern der Sache sein, nicht nur weird, sondern weirdcore.
Hashtags haben uns beigebracht, einen kurzen gemeinsamen Nenner für Posts zu finden. Alles was mehr oder weniger erfolgreich unter einem Hashtag untergebracht wird, bekommt ein -core angehängt und ist dann eine eigene Hausnummer. Corecore perfektioniert und überspitzt die Idee, alles auf einen ästhetischen Kern zu verdichten. Am Ende bleibt von allem kuratierten Glanz die simple und ernüchternde Essenz der gewöhnlichen Tristesse. Alle cores auf die Spitze getrieben, ist von der ganzen Differenzierung nur ein grauer Haufen Durchschnittlichkeit übrig. Ein Hund, eine Tasse, ein Fast-Food-Container – scheinbar willkürlich und zufällig hintereinander gereiht, klappert das Video ab, was wir sowieso gezeigt bekommen hätten. Corecore ist entlarvend und zugleich gefällig – ich möchte ja sehen, dass jedes Video in meiner Bubble auch eine eigene Ästhetik ist und stets differenziert werden muss, aber ich möchte auch darin bestätigt werden, dass mein Geschmack ein guter und weitgehend geteilter ist. Der Kern des Kerns ist nicht glamourös, sondern trivial – und, man muss es sagen, erdrückend langweilig. Es stellt sich die Frage, ob Corecore so selbstreflektiert ist wie es tut. Mit dem selbstironischen Namen soll es zeigen, wie meta es doch ist, nimmt sich und vor allem alle ästhetischen Schwestern aufs Korn. Oder ist es vielmehr eine Aneinanderreihung von Alltagssituationen der wir aus Frust Bedeutung zusprechen? Es hat etwas bezauberndes, dass wir Ordinärem eine Bedeutung geben, indem wir eine Ästhetik eingrenzen, die absolut unästhetisch ist. Vielleicht ist es auch eine Auflehnung gegen das obsessive Benennen im Internet, ein Trotz, der das Begriffs-Ungetüm Corecore überhaupt erst hat entstehen lassen. Das langweiligste vom langweiligsten ist der Kern jeder -core, ist hinter jeder noch so kleinkariert benannten Ästhetik, ist im Grunde hinter all den schönen Differenzierungen. Im inneren bleibt doch die Belanglosigkeit.
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