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Über Tupilaks und die Royal Arctic Line - Brief aus Grönland

Nuuk, 8. August 2025: 8 Grad Celsius (gefühlt 0 Grad), Nebel, im Fjord schwimmen Eisberge.

Am Rande Europas, wo sub- und arktische Bedingungen herrschen und die Verbindung vor allem zu Festlanddänemark eng ist, muß die Kunstbetrachtung eine andere als in Zentraleuropa mit ihren Hotspots in Italien, Frankreich und Spanien sein.

Ich beginne hier mit der Geschichte und mit Erik dem Roten zu erzählen. Er begann „Grönland“ 985 von Island aus zu besiedeln. Bis um 1350 gab es die so genannte „Westsiedlung“ bei Nuuk und bis mindestens 1408 die „Ostsiedlung“ (mit über 4.000 Bewohner:innen), zu der der Bischofssitz Gardar, Hvalsey  und Brattahild  gehörten. Dieses von Wikingern und später auch von den Thule-Einwanderern besiedelte und urbar gemachte subarktische Agrarland wurde 2017 UNESCO-Weltkulturerbe. Kujataa, so der Name der schützenswerten Areale legt Zeugnisse über die frühen Handelsbeziehungen zwischen den Wikingern in Grönland und Festlandeuropa ab. Im dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen gibt es beispielsweise zahlreiche – auch aus Walrossbein geschnitzte – Kunstwerke. Das Interesse an den hochwertigen, aber doch auch exotischen Naturmaterialien riss erst im 15. Jhd. mit den zahlreichen Entdeckungsreisen nach Afrika und Asien ab. Auch der günstigere Import von Elefantenelfenbein beschleunigte (nebst vielen anderen Faktoren) den Untergang der Handelsbeziehungen mit Grönland und letzten Endes auch die Existenz der Wikinger.

Ich bin dennoch gekommen, um Kunst zu sehen. Und allein Tupilaks (siehe weiter unten) gibt es genug. An der Art Brussels dem Basel Social Club hat der aus Grönland stammende Künstler Martin Brandt Hansen dieses Jahr Kunstwerke gezeigt, die allesamt aus hiesigen Materialen stammen. Marmor, der unter Naturschutz steht und nur „second hand“ verarbeitet werden darf wird bei ihm ebenso zum Artefakt wie Zigarettenpakete, die zum „Prince´s House“ werden.
Andersen´s Contemporary aus Kopenhagen vertritt den Künstler und konnte bereits mehrere Museumsausstellungen vermitteln.
Das hat mich neugierig gemacht und so wollte ich die grönländische Kunstszene für mich entdecken.

In der Nuuker Hauptstraße Imaneq befindet sich das 1997 eröffnete Kunst- und Kulturzentrum Katuaq, geplant vom dänischen Architekturbüro Schmidt, Hammer und Lassen aus Aarhus. Das Gebäude zählt zu den wenigen architektonisch herausragenden Gebäuden der Innenstadt. Das Katuaq-Kunsthaus zeigt Ausstellungen von lokalen Künstler:innen (wie auch jene von Martin Brandt-Hansen im vergangenen Jahr).

Die Werke sind allesamt käuflich. Stellvertretend für Galerien – die es auf Grönland (noch) nicht gibt – dient das Kunst- und Kulturhaus als Präsentationsfläche für Gegenwartskunst.

Der nächste Schritt ist dann das Kunstmuseum. Der Gebäudekomplex befindet sich in der ehemaligen Kirche der Adventisten und geht auf eine Schenkung des Sammlerehepaares Svend und Helene Junge-Petersen zurück. Über 300 Bilder und grafische Arbeiten sowie 500 klassische grönländische Skulpturen aus Bein, Holz und Speckstein bilden den Grundstock des Museums. Zudem finden Sonderausstellungen statt. Diesen Sommer werden Werke der Nuuker Künstlervereinigung KIMIK gezeigt.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben zahlreiche grönländische Künstlerinnen und Künstler eine akademische Kunstausbildung erhalten. 1972 wurde in der grönländischen Hauptstadt Nuuk, die heute über 20.000 Einwohner zählt, eine Kunstschule gegründet. Im Zuge der Selbstverwaltung wurden mehrere Aufträge für die Ausschmückungen von Schulen, Rathäusern und anderen öffentlichen Gebäuden vergeben. Die mythologische Welt ist auch in der jüngsten Gegenwart meist noch das Thema der Darstellungen.

Unbedingt besuchen muss man das Nationalmuseum, das vom dänischen Archäologen Christian Koch-Madsen geleitet wird. Das Grönländische Nationalmusum am Kolonialhafen zeigt einen zeitlichen Rahmen von der Thule-Kultur (die annähernd zeitgleich mit den Nordmännern begonnen hat) über die Kolonialzeit bis in die nahe Vergangenheit. Auch gibt es einen eigenen Raum mit Tupilak-Skulpturen. Die Tupilaks sind mehr als Kunstwerke. Sie sind heilbringend und ein wichtiger Teil der Geschichte der Grönländer:innen. Es gibt aber auch Tupilaks aus zeitgenössischer Produktion. Die offene Werkstatt Ajagaq in einer Seitenstraße lässt Einblicke in die Schnitzarbeiten der Tupilak-Handwerker zu. Sie verwandeln Holz, Rentiergeweihe, Horn und Speckstein zu kleinen Skulpturen.

Weiters gibt es am Kolonialhafen das Nuutoqaq-Regionalmuseum, in dem neben der Geschichte von Nuuk auch Gegenwartskunst ausgestellt wird.
In unmittelbarer Umgebung befindet sich die traditionelle Nähwerkstatt Kittat, in der textiles Kunsthandwerk ausgeübt wird.

Und es gibt Kunst auf der Straße – davon gibt es reichlich in Nuuk.

Die wohl wichtigste Skulptur ist die “Mutter des Meeres”, gestaltet vom grönländischen Künstler Christian Nuunu Rosing am Strandvej. Je nach Gezeitenstand ragt sie aus dem Wasser. Ein Knabe kämmt die Haare der Mutter, die von den Tieren des Meeres umringt wird. Der Mythos besagt, dass die Mutter den Menschen nur Tiere (als Nahrung) schickt, wenn die Haare ordentlich gekämmt sind.

Auf sie blickt Hans Egede herab. Dieser gründete 1774 im königlichen dänischen Auftrag die königliche grönländische Handelskolonie. Seine überlebensgroße Erscheinung in Form einer Erzskulptur des Bildhauers August Saabye steht seit 1921 auf einem Hügel oberhalb des Alten Hafens.

Vor dem Parlament steht seit 1989 Kaassassuk, eine vom grönländischen Künstler Simon Kristoffersen geschaffene Skulptur. Kaassassuk, so die Legende, wurde als Waisenkind schlecht behandelt. Erst mit Hilfe von Pissaap Inua, dem Geist der Kraft wurde er groß und stark und konnte sich an seinen Misshandlern rächen. Es widerspiegelt auch die Geschichte von der Eigenständigkeit Grönlands.

Unweit davon (vor der Grönländischen Nationalbank) hat Naja Rosing Amisut geschaffen. Die Bronzeskulptur wurde 2009 errichtet. Ineinander gewundene Robben symbolisieren Einigkeit und Solidarität der neuen Selbstverwaltung. Robben sind seit jeher das wichtigste Jagdwild der Inuit.

Überall in der Stadt gibt es auch Murals - wohl zur Verschönerung der teils tristen Plattenbauten. Auf Block 10 und 5 (sie heißen tatsächlich so) haben Guido van Helten und Stefan Baldursson 2014 beispielsweise ein Frauenporträt mit Eisbären dargestellt.

Kunst- und Design sind Teil des merkantilen Alltags in Nuuk. Vor allem wenn die Massentourist:innen der Kreuzfahrtschiffe kommen, begeistern die arktischen Souvenirs. In und um die Hauptstraße werden Robbendesignwaren (von Great Greenland mit Sitz in Qaqortoq staatlich streng kontrolliert) wie Egg Chairs von Arne Jacobsen mit Robbenfellbezug oder Strickwaren aus Moschuswolle angeboten.

Dooit Design in der Imaneq 27 zaubert aus Glas Eisbären und Glasplatten, die wie Eisberge schimmern. Auch in der Imaneq befinden sich Anori-Art, wo kunsthandwerklicher Schmuck angeboten wird.

Und wenn man Kunsthandwerk kauft, wird man in den Geschäften darauf hingewiesen, dass man das CITES-Zertifikat dazuverlangt. Narwal und Robbe wiewohl auch Walross und dergleichen unterliegen dem Artenschutz.

Wenn man den Süden, dessen äußerste Spitze Kap Farvel ist, heute besucht, so findet man dorfähnliche Strukturen jeweils mit eigenen Museen und vielen Murals. Die SANASA Art Route in Südgrönland ist ein gutes Beispiel für ein ortsverbindendes Kunstprojekt. 16 Motive in Zusammenhang mit der grönländischen Geschichte und Kultur verschönern die Ortschaften Nanortalik, Narsaq and Qaqortoq. Die Initiatorin ist die Inuk-Künstlern Heidi Zilmer, die gemeinsam mit Inuits und internationalen Gastkünstler:innen die Wände bunter werden ließ.

Es ist nicht immer grün in Grönland, aber Ulrikka Holms Arbeit „Liebe überwindet alles“ (2023) hat Nanortalik bereichert. Die Schneeammer und die Ente stehen symbolisch für die weiten Reisen und deren Rückkehr der Inuits.

Ein weiteres Mural trägt den Titel „Wunderschönes Nanortalik“. 2021 entstand es als Gemeinschaftsarbeit im Majoriaq Sanasuaqqat-Workshop. Die drei Polarbären sind Teile aus dem Stadtwappen. In Nanortalik gibt es auch das größte Freilichtmuseum auf Grönland.

Als schönste Stadt in Südgrönland wird Qaqortoq bezeichnet. Das hat sich auch bis zu den Kreuzfahrtschiffen herumgesprochen, die quasi allesamt hier andocken. Ungeachtet dessen kann man das Museum gut an Kreuzfahrtschiffstagen besuchen (zumal es an anderen Tagen meist geschlossen ist), in dem von der Gründung durch den norwegischen Kaufmann Anders Olsen 1775 bis hin zu sehenswerten Kunstwerken wie von der grönländischen Künstlerin Aka Hoegh vieles zu sehen ist. Kurios ist, dass Knud Rasmussen und Charles Lindbergh im Gebäude genächtigt haben.

Und was tut sich außerhalb des Museums? Um die 30 „Stein und Mensch“- Skulpturen bereichern den Ort. 1993 von Aka Hoegh initiiert, folgten Künstler:innen aus Skandinavien und Grönland der Initiative und hinterließen Steinkunstwerke.
Zudem gibt es auch wieder Murals, wie „die große Robbe“ von Hans Davisen (2020), die auf einem Eisberg liegt. „Torben“ hingegen entstand 2021. Daniel Hoyer Broberg hat den bunten Fisch mit grünem Hintergrund am Hafen der Royal Arctic Line (dem Generalimporteur für Grönland) platziert. 

Ein letzter, keinesfalls außer Acht zu lassender Museumsstop ist die ehemalige US-Air Basis Blue West One in Narsarsuaq. Nebst einheimischer Kunst, Kunsthandwerk und Zeugnissen der US-Basiszeit befindet sich in diesem privat geführten Museum das einzige Dokumentationszentrum für das UNESCO-Weltkulturerbe Kujataa.

Eine Kunstreise nach Grönland kann keinesfalls mit den europäischen Hotspots verglichen werden, es zeugt aber von einer reichen Geschichte, dem regen Handel und Austausch mit anderen Ländern und der Eigenständigkeit der Kunst. Gerade in Zeiten der Wahrnehmung der Inuit-Kulturen und der Kolonialisierungen darf und muss vielleicht auch Grönland ein besonderes Augenmerk geschenkt werden.

Mehr Texte von Iris Stöckl

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