Auto-Kino-Straße
Drift Video Art: Edition #1
Ein paar Hundert Meter hinter der Stadtgrenze liegt das Autokino Wien.
In Groß-Enzersdorf, wo es eher nach Pferd als Pferdestärken riecht, fand am 12. September die erste Ausgabe von Drift Video Art statt. Kuratiert vom Künstler Robert Pawliczek, wurden die drei Screens des Autokinos mit 40 nationalen sowie internationalen Experimentalfilmen und Klassikern des Avantgardefilms bespielt.
Das Konzept des Autokinos wurde dabei von seinem definierenden Merkmal, dem Automobil, losgelöst. Der Großteil des Publikums erschien, wie in einer Großstadt üblich, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, was die Freiheit eröffnete, sich zwischen den einzelnen Leinwänden zu bewegen. Nur Sophia Hatwagner reiste mit ihrem Auto an. Seit 2020 nutzt die Künstlerin ihren VAN als mobilen Ausstellungsraum, was nicht nur ein Versuch ist, in prekären Zeiten selbstbestimmt zu arbeiten, sondern auch das Prinzip des Autokinos buchstäblich umkehrt. Hier sitzt nicht das Publikum im Auto, sondern die Kunst selbst. Für Drift präsentierte sie aus dem Kofferraum ihres nomadischen artist-run-space Pawliczeks Videoarbeit Glenda Is Way Too Early, aus dem Jahr 2011.
Die Screens auf dem Areal des Autokinos sind in einem Dreieck angeordnet, wodurch die Filme in einen direkten Dialog traten. Über tragbare Radios und verschiedene FM-Frequenzen konnte der Ton zu den einzelnen Filmen abgespielt und mit den Zuschauerinnen frei über das Areal bewegt werden. Es entstanden Überschneidungen, Verzögerungen, Rauschen und Momente der Stille. Publikum und Ton wurden zu Protagonistinnen, die das Areal einbezogen und ihm eine Stimme verliehen.
Psychogeography, das Thema der Debüt-Edition von Drift, beschäftigte sich mit der Frage, wie bestimmte Umgebungen menschliche Emotionen und Bewegungen leiten. Inspiriert von Charles Baudelaires Konzept des Flaneurs – dem urbanen Wanderer des 19. Jahrhunderts – erkundet Psychogeography die vielfältigen Weisen, wie Orte eingenommen und erlebt werden können. Dieser experimentelle Ansatz spiegelte sich nicht nur in der Auswahl der Filme wider, sondern auch in der eigenen Wahrnehmung des Autokino-Areals.
Ohne Auto schien das Größenverhältnis zwischen Mensch und Leinwand noch radikaler, fast wie aus einer Froschperspektive. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, blieb eine zentrale Eigenschaft des Autokinos erhalten: eine eigentümliche Intimität und pseudoprivate Atmosphäre beherrschten den dunklen Parkplatz. Der absurde Charakter und die oft repetitiven Handlungen der Filme – Menschen in hamsterradartigen Konstrukten, die einen Straßenrand entlangrollen; ein Mann, der sich vor einem riesigen Ziffernblatt die Zähne putzt; eine Frau am Strand, die immer wieder stürzt und in genau der gleichen Position landet – verbanden sich mit dem gespenstischen Rauschen der Sender zu einer Sogwirkung. Als Zuschauer:in driftete man in einen Strudel aus Gedanken und Bildwelten und wurde dabei zur Flaneur:in in den Tiefen des Unterbewusstseins.
Drift Video Art stand unter dem Stern eines erlebten Dialogs. In seiner Filmauswahl zog Robert Pawliczek eine Verbindung zwischen Wien und New York, zwei Städten, die beide für ihre experimentelle Filmszene bekannt sind. In Groß-Enzersdorf entstanden an diesem Abend Beziehungen zwischen den verschiedenen Filmen, aber auch zwischen Publikum und Umgebung, Körper und Geist, Stadt und Land.
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