Den Anschluss verloren?
Im Gegensatz zu dem Wiener Galerieprojekt „curated by“ (⤇ siehe hier den jüngsten Bericht des artmagazine) besitzt die Berlin Art Week keinen konzeptionellen Rahmen und kein Thema. Stattdessen lässt sich das alljährlich stattfindende Event als konzertierte Aktion des Berliner Kunstbetriebs beschreiben, die letztlich nicht viel mehr ist als business as usual. Ob das Unternehmen, an dem über 100 Museen, Galerien, Offspaces, private Sammlungen und die Kunstmesse „Positions“ teilnehmen, dem selbst erklärten Anspruch gerecht wurde, der „Hotspot für zeitgenössische Kunst“ zu sein, ist fraglich. Fast schon brav, zuweilen altbacken, dafür „Feuilleton-tauglich“ kam das überbordende Programm der Berlin Art Week über weite Strecken immer wieder daher und interesselose „Kunst-Kunst“ gab allzu oft den bewusst unpolitischen Ton an.
Die Wilhelm-Hallen etwa präsentierten mit der Ausstellung „HALLEN 06“ in einem ermüdenden Überangebot und mit einem schwindelerregenden Qualitätsgefälle vor allem Kunststrategien, die in die Jahre gekommen sind. Ich erwähne hier nur ausgewählte bessere Arbeiten: Daniel Knorr ist da mit einer partizipativen Trashinstallation vertreten, Liam Gillick mit einer Textarbeit, Nasan Tur stellt zwei (pseudopolitische) Neons vor, Elisa Manig eine minimalistische Skulptur und Stefan Hirsig 90er Jahre-Malerei ... Hat man in Berlin den Anschluss verloren oder zeigen die viel besungene Krise des Kunstmarktes, die Sparbeschlüsse im Kulturbereich – auch die zukünftige finanzielle Unterstützung der Berlin Art Week durch den Senat scheint derzeit fraglich – sowie die dreisten Einschüchterungsversuche der aktuellen rechtspopulistischen Kulturpolitik bereits Wirkung?
Selbstverständlich gab es aber auch dieses Jahr Ausnahmen und Sehenswertes zu entdecken. Die Galerie Wedding, die trotz ihres Namens ein kommunaler Kunstraum ist, zum Beispiel zeigt Pınar Öğrencis Einzelausstellung „Cemetry of the Nameless“, ein Highlight der diesjährigen Berlin Art Week. Der Titel spielt auf Friedhöfe in der Türkei an, auf deren Grabsteinen lediglich forensische Nummern stehen. Die Toten, Flüchtlinge und Kurden meist, bleiben so anonym. In ihrem mit Drohnen gefilmten Video „Sedimented Lifes“, 2025, zeigt Öğrenci den See Van, der im Osten der Türkei nahe der Grenze zum Iran liegt. In langsamen Kamerafahrten wird dabei der Fokus gelegt auf aus dem Wasser ragende, bizarre Gesteinsformationen. Diese Mikrobialite werden jetzt sichtbar, da der Pegel des Sees auf Grund der Klimakatastrophe langsam sinkt. Gebildet sind diese Gesteine u. a. aus Kalzium, Karbonat, Phosphat und Magnesium, also aus Elementen, aus denen auch menschliche Knochen bestehen. So dienen diese Mikrobialite dann in Öğrencis Film auch als Metaphern für die namenlosen Toten, etwa Flüchtlinge aus Afghanistan, die von Schmelzwasser in den See gespült wurden. In dem Film eingeblendete Inserts betonen mit ihren Reflexionen zur politischen Situation in der Türkei, dieses dezent aber nachhaltig.
Auch die intelligent kuratierte Gruppenausstellung „Close to Home“ bei SAVVY Contemporary ist bemerkenswert. Thema ist in den Arbeiten der 12 Künstler die migrantische Strategie, Geld oder zum Beispiel Know-how in die Heimat zu senden, um diese zu unterstützen und gleichzeitig eine Bindung zu ihr beizubehalten. Probleme dieser Strategie stehen dann in Yairan Montejos Wandbild „The Long Way Home“, 2025, im Mittelpunkt: In Form eines Comics erzählt der Künstler in diesem urbanen Tagebuch wie Kubaner das Verbot, Geld auf dem Bankweg an Verwandte in Kuba zu überweisen, umgehen, indem sie Boten beauftragen, ihr Geld als „Gabe“ (Marcel Mauss) zu überreichen. Eine konkrete menschliche Hilfe tritt so an die Stelle der eigentlich üblichen technischen Dienstleistungen – wenn man so will: eine human(istisch)e Systemkritik mit pragmatischem Ton.
In der Galerie Nagel/Draxler überrascht Andrea Fraser mit ihrer Arbeit „Untitled (Objects)“, 2024, die sich aus fünf lebensgroßen, in Glasvitrinen liegenden Skulpturen zusammensetzt. Es handelt sich um Abbilder von zweijährigen Kindern in Ruhepose, gefertigt aus formbarem, hellen Wachs. Andrea Fraser hat in ihrer institutionskritischen Kunst stets den warenhaften Charakter von Kunst problematisiert, in ihrem Videoprojekt „Untitled“, 2003, ging sie so weit, auch den Künstler selbst als Ware zu behaupten, prostituierte sie sich doch vor laufender Kamera, indem sie mit einem Sammler Sex hatte. Die fünf Kinder in „Untitled (Objects)“ knüpfen offensichtlich an dieses Videoprojekt an, werden sie doch im Titel als „Objekt“ bezeichnet und werden in der Galerie zum Verkauf angeboten. Gleichzeitig aber betonen diese kindlich-sentimentalen „Objekte“ - und dieses ist ungewohnt für die Arbeit von Andrea Fraser - die emotionalen Qualitäten, die den Beziehungen von Werk und Künstler sowie von Exponat und Sammler zudem innewohnen.
Eröffnet wurde auch die Ausstellung „Global Fascisms“ mit Arbeiten u. a. von Maria Lassnig, Niklas Goldbach und Julia Scher im Haus der Kulturen der Welt. Da endlich traut man sich, Gegenwart engagiert reflektierend, auch israelkritische Statements zum Gaza-Krieg auszustellen und in den Eröffnungsreden mutig von einem Genozid zu sprechen. Zu sehen sind hier zum Beispiel „The Gaza War Tattoos“, 2024 – 2025, von Roee Rosen. Die Motive nehmen kein Blatt vor den Mund: Da ist etwa auf einem Tattoo eine in Tuch verhüllte Leiche, auf der in schwarzer Schrift die Worte „Total Victory“ geschrieben stehen, also der Schlachtruf, den der israelische Premierminister Netanjahu nicht müde wird, auszurufen - und der nicht von ungefähr an die nationalsozialistischen Propagandaparolen „Endsieg“ und „totaler Krieg“ erinnert. Kurz und gut: Die Ausstellung „Global Fascism“ ist ein weiterer Höhepunkt der diesjährigen Berlin Art Week.
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