Gemeint sein und gemein sein
Wie das Popfest den Wiener Grant herausfordert
Wien, mein Wien, so singt es Falco, aber Wien gibt immer sein bestes unseres zu sein. Günstiger Nahverkehr, günstige Mieten, die Liste ist lang und der Bürgermeister rot. Selbst im Sommer, wo man das Gefühl hat, wer wirklich in Wien wohnt, ist lieber irgendwo anders. Nach Monaten von in der U1 saunieren und Touristen beschimpfen hat man langsam keine Geduld mehr für unser Wien, bitte schleichts euch alle, ich kann nicht mehr. Das Popfest, inklusiv, seit jeher kostenlos und die Anstürme von Menschen erstaunlich gut organisierend gibt in diesem sozialen Sommerloch ein Stück Gemeinschaft zurück - um es dann gleich wieder auf die Probe zu stellen.
Die Acts und Angebote des Popfests sind breit gefächert. Christina Stürmer eröffnet am Donnerstag: “Das Zusammentreffen des laufenden Y2K-Revivals und das Verschwinden des alten Indie-Snobismus schaffen eine ideale Gelegenheit zu einer Neubewertung des Phänomens Christina Stürmer”, so die Website. Als ich im Freundeskreis vorschlage, gemeinsam zu gehen, wird die Nase gerümpft. Das Y2K Revival lässt sich nicht bestreiten, wie man auch den Outfits des jüngeren Teil vom Publikum ansieht. Der alte Teil des Indie-Snobismus mag auch verschwinden, aber es kommt ein junger nach.
Neben sehr vielen guten Konzerten gibt es vier Tage lang auch Workshops (ob beim Styling Workshop von Engelord auch des Y2K-Revival spürbar war?), einen Ping Pong Floor (Bass und Ballwechsel), Essen, Getränke, wie man sich das eben so vorstellt. Und das alles ohne Eintritt im Herzen von Wien, also kann man ja eigentlich nur gut gelaunt sein…
Drei Tage lang wird man beim Popfest zuvorkommend und freundlich behandelt, sowohl vom Publikum als auch den Veranstaltern, ist das überhaupt noch Wien oder eine Utopie?
Beim Abschlusskonzert in der Karlskirche zeigt sich langsames Unbehagen mit der Freundlichkeit und in diese heiligen Hallen darf man natürlich das Ottakringer auch nicht mitnehmen. Der Anfang dreißig Jährige, der sich 3 Minuten zuvor vor mich in die Schlage gedrängelt hatte, protestiert. Irgendwie schlage ich mich Richtung Mitte durch, neben eine Kirchenbank, nein, neben eine von fünf Rucksäcken besetzte Kirchenbank. “Unsere Freundin ist nur kurz auf’s Klo gegangen”. Ich stehe die nächsten 2,5 Stunden neben Rucksäcken und mit meinem leichten Spritzer-Schwipps nimmt auch meine Toleranz für die Rucksäcke ab - eigentlich hab ich nichts gegen stehen aber es geht hier ja ums Prinzip. Ich ertappe mich bei passiv-aggressiven Blicken Richtung Rucksackbesitzer, von eben diesem meisterlich ignoriert. Anstatt mich einfach in den wirklich ätherischen Harfenklängen von Miriam Adefris zu verlieren oder in der Architektur der Karlskirche, grantel ich so vor mich hin. Es hilft nicht, dass vor mir jemand zu schunkeln beginnt. Bin ich jetzt wirklich auch schon so eine, die immer herumsudern muss?
Nach Miriam Adefris spielt Jeansboy. Englisch sprachiger Indiepop mit Wiener Akzent, was sowohl den Text als auch die Aussprache betrifft. Quasi Wienerlied auf englisch mit Vampire-Weekend-mäßiger Gitarrenbegleitung. Ich bin schon fast wieder milde gestimmt, da stimmt er das nächste Lied an.
“All the assholes live here, that’s the Austrian scene (…), that’s the Austrian dream (…) Hermes Phettberg stirbt nie”.
Aber eigentlich kann ich mich ja gar nicht aufregen: immerhin kam ich vor.
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Foto © Franz Reiterer
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