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Humor als vorauseilender Gehorsam?

„Immer spielt ihr und scherzt? ihr müsst! o Freunde! Mir geht dies in die Seele, denn dies müssen Verzweifelte nur“, schrieb schon Friedrich Hölderlin. Spiel und Scherz stehen auch im Zentrum der Konzeption der 13. Berlin Biennale. Die Verzweifelten, um die es da geht, sind Menschen, die heute in autoritären Unrechtsstaaten leben und die den Humor als widerständigen Ausdruck nutzen. Die Kuratorin der 13. Berlin Biennale Zasha Colah beschreibt es so: „Lachen untergräbt die herrschende Ordnung“. Diese künstlerische Strategie des „subversiven Humors“ hat Zasha Colah vor allem in der Militärdiktatur Myanmar, wo sie immer wieder als Kuratorin arbeitet, erfahren. Diese Autorität verlachende Strategie geht zurück auf Michail M. Bachtins Theorie der systemkritischen, karnevalesken „Lachkultur“, die Kritik über humorvolle Umwege artikuliert. Diese Theorie ist nicht zuletzt beeinflusst durch Bachtins Erfahrungen mit der Diktatur Stalins. Genau hier nun zeigt sich das Problem von Colahs Konzept: Noch (!) leben wir in Deutschland nicht in einer Diktatur, noch kann Kritik und Widerstand sich hier äußern ohne den Umweg des Humors einschlagen zu müssen. Und diese Option sollte gerade jetzt engagiert genutzt werden, ansonsten wird politische Kunst weniger eine Form des Widerstandes, als ein Modus des sich übervorsichtig Einfügens. 

Das Problem der Verschiebung von Arbeiten, die in totalitären Kontexten entstanden sind, hin in die Postdemokratie Berlins ist dann auch vielen Arbeiten der Ausstellung eingeschrieben. So zum Beispiel der Arbeit „Walking the Cabbage in Berlin“, 2025 von Han Bing & Kashmiri Cabbage Walker. Die Arbeit hat ihren Start im Jahre 2000 als Han Bing in Peking, dem politischen Zentrum Chinas, einen Kohlkopf auf einem kleinen Holzwagen Spazieren führte, um mit dieser absurd-lächerlichen Performance die totalitären Ordnung im öffentlichen Raum herauszufordern. Diese Aktion übersetzt nach Berlin ist dann aber nicht mehr als ein vielleicht komischer Witz, aber sicher keine „Provokation, die uns auffordert, jene normalisierten Formen der Unterdrückung zu erkennen, die uns umgeben – oder in uns wohnen“ (Katalogtext).

Ähnliches gilt auch für die Werkgruppe „Artists’ Street“, 2025, der „Exterra XX - Künstlerinnengruppe Erfurt“.  Diese Gruppe hat von 1984 – 1994, also vor und nach der deutschen „Wiedervereinigung,“ auf dem Gebiet der ehemaligen DDR unter anderem feministische Modeschauen, Filmproduktionen und Performances organisiert. Für „Artists’ Street“ nun wurden Kostüme zusammengestellt, die die Gruppe in den 1980er Jahren, also vor dem Mauerfall, für ihre Aktionen im Untergrund der Erfurter Szene entworfen hatte. Die karnevaleske Anmutung der, wenn man so will, „illegalen“ Kostüme mag damals sicherlich Sinn gemacht haben, heute aber gilt für sie nur noch Nina Hagens Statement „Es ist alles so schön bunt hier“, von Subversion ist da keine Spur mehr. 

Spannend wird diese Berlin Biennale nur dann, wenn die Arbeiten den Moment des Humors verweigern. Die skizzenhaften Zeichnungen von Elshafe Mukhtar, zum Beispiel das Wandbild “When Bots Rule a Great Nation“, 2025, etwa erzählen so lapidar wie unmissverständlich von den Gräueln des seit 2023 herrschenden Krieges im Sudan. Und Merle Krögers Soundinstallation „Was fehlt - Eksik olan - What’s missing“, 2025, rekonstruiert präzise und vielschichtig die Geschichte des türkischen Aktivisten Cemal Kemal Altun, der sich 1983 nach monatelangem Kampf gegen seine Abschiebung in Berlin aus dem Fenster gestürzt hat.

Arbeiten wie diese machen den Besuch der 13. Berlin Biennale dann doch lohnenswert.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Protestaktionen, Betroffenheit und wenig fürs Auge
Ina | 16.06.2025 18:18 | antworten
Ich wusste nicht, wie ich es formulieren sollte, doch MIR fehlt bei dieser Biennale das ästhetisch staunende und begeisterte Erleben. Nach diesem Artikel weiß ich ein bisschen mehr, woran das bei mir liegt. Die Aktionen gehören an einen anderen Ort zu einer anderen Zeit und Situation. Jetzt und hier sind es einfach nur Dokumentationen. Und das "Kunstwerk" reduziert sich bei vielem auf das "Konzept". Schade!

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