Werbung
,

ars viva 2025. Where will we land?: Die Welt neu formen

Es ist eine gute Frage: „Who would you put on a monument?“ Sie lässt uns darüber nachdenken, wer uns inspiriert, geholfen oder unterstützt hat und sie ruft die Vorstellung einer Stadt hervor, in der uns nicht imperialistische Herrscher, sondern unsere persönlichen Held:innen von den Sockeln grüßen. Der Künstler Vincent Scheers (*1990 in Duffel, Belgien, lebt und arbeitet in München) hat diese Frage mehreren Einwohner:innen São Paulos gestellt und sie in seine Arbeit Quer merece o Bronze (Wer verdient die Bronze) (2025) integriert. Eine der Antworten, eine berührende Liebeserklärung, wird in dem digitalisierten 8-mm-Film dem monumentalen Denkmal As Bandeiras gegenübergestellt: Während As Bandeiras an die „Gründerväter“ São Paulos erinnert und somit portugiesische Konquistadoren ehrt, die sich die Region gewaltsam aneigneten und indigene Völker versklavten, würdigt die Stimme des Mannes eine Frau, die sich mit Fragen der Herkunft und der Ahnenschaft auseinandersetzt. „In a city like this, a monument to her would be more than important, right?“

Die Arbeit setzt nicht nur eigene Reflexionen über diese Frage in Gang und veranlasst darüber nachzudenken, welche Ereignisse und Personen im öffentlichen Raum geehrt werden sollten. Sie veranschaulicht auch, wie Scheers in seiner künstlerischen Praxis immer wieder Alternativ-Szenarien heraufbeschwört, die sich institutionalisierter Autorität entgegenstellen und die Kontingenz moderner Machtsysteme entlarven: Alles könnte anders sein. 

Der Film ist Teil seiner aus vier Werken bestehenden Präsentation im Rahmen der Ausstellung Where will we land am Haus der Kunst München, in der die diesjährigen Preisträger*innen des ars viva-Preises vorgestellt werden: Neben Scheers sind das Helena Uambembe (*1994 in Pomfret, Südafrika, lebt und arbeitet in Berlin) und Wisrah C.V. da R. Celestino (*1989 in Buritizeiro, Brasilien, lebt und arbeitet in Berlin). 

Der seit 1953 jährlich durch den Kulturkreis der deutschen Wirtschaft vergebene Preis würdigt in Deutschland lebende junge Künstler:innen, deren Praxis sich durch eine eigenständige Formensprache und ein Bewusstsein für gegenwärtige Fragen zur (Kultur-)Geschichte auszeichnet. Zahlreiche mittlerweile sehr renommierte Künstler:innen haben den Preis erhalten, darunter Rosemarie Trockel, Candida Höfer, Wolfgang Tillmans, Omer Fast und Sung Tieu. 
Bereits zum zweiten Mal findet die Ausstellung der ars viva-Preisträger:innen im Haus der Kunst München statt, 2023 waren hier die Werke von Paul Kolling, Shaun Motsi und Leyla Yenirce zu sehen. 

Nach einer ersten Ausstellung in der Kunsthalle Bremen haben die diesjährigen Preisträgerinnen Scheers, Uambembe und Celestino für das Haus der Kunst größtenteils neue Werke entwickelt, die einen Einblick in zentrale Themen ihres künstlerischen Schaffens geben. Der Titel Where will we land? bezieht sich dabei auf unsere kriegs- und krisengeprägte Gegenwart: „Es geht um die Frage, wie wir in der aktuellen Situation miteinander umgehen sollen und um die Annahme, dass es unumgänglich ist, dass wir als Gesellschaft im kontinuierlichen Austausch miteinander bleiben“, so Kuratorin Jana Baumann. Und obwohl die Positionen sich sehr voneinander unterscheiden, lässt sich doch eine gemeinsame Botschaft herauslesen: Unsere Welt ist formbar, die Ordnungen, innerhalb derer wir uns als Gesellschaften bewegen, sind wandelbar und es liegt an jeder Einzelner und jedem Einzelnen aktiv zu werden. 

Eine weitere Arbeit von Scheers fungiert hierbei als Sinnbild für eine der vielseitigen Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen: In der Installation Two cocks fighting over broken scooters (2025) liefern sich zwei präparierte Hähne auf einem Berg aus ausrangierten Motorrollern einen „sinnlosen Kampf um ihren Stolz“ (Scheers). Ein sehr passendes Bild für Männer wie Trump, Putin, Netanyahu und wie sie alle heißen.

Die künstlerische Praxis von Wisrah C.V. da R. Celestino widmet sich den verbliebenen Strukturen des transatlantischen Kolonialprojekts und sieht sich häufig der Institutionskritik verpflichtet. Die im Haus der Kunst gezeigte Präsentation Deals verdeutlicht die Bedeutungsverschiebung, die private Gegenstände im Kontext eines Kunstbetriebs erfahren. Zu sehen ist unter anderem die Arbeit RENTAL/FATHER (2023) - drei auf dem Boden liegende Tore - sowie Privacy (2023) - mehrere bunte, auf einem Podest angeordnete, gefaltete Vorhänge. Die Arbeiten rufen in ihrer akkuraten Anordnung Assoziationen an die Minimal Art hervor, halten sich jedoch bei dieser Anspielung nicht auf. Die in der Konzeptkunst zu verortenden Arbeiten veranschaulichen Celestinos Auseinandersetzung mit den Themen Besitz, Eigentum und Zugehörigkeit im Kontext verbliebener Strukturen des Kolonialismus. Sowohl die Tore als auch die Vorhänge sind Leihgaben der Familie Celestinos. Ihr Wert wird im Austausch mit der zeigenden Institution jeweils neu ausgehandelt. „Celestino geht es um das Gespräch mit der Institution, in unserem Fall mit mir als der Kuratorin und um die Hervorhebung der Handlungsmacht des Einzelnen“, so Jana Baumann. Aber noch ein weiterer Aspekt lässt sich aus den Arbeiten herauslesen: Sie thematisieren auch die Funktion der Institutionen bei der Festlegung des Wertes der gezeigten Objekte. Gerade im Kontext der Dekolonialisierung ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass Objekte - das können geraubte Kulturgüter, aber auch rechtmäßig erworbene Kunstwerke sein - in westlichen Institutionen einer Bedeutungsverschiebung ausgesetzt sind. Indem sie aus ihren ursprünglichen Kontexten entfernt wurden, geraten einige Aspekte ihrer Bedeutung in den Hintergrund, während neue, ihnen im Prinzip fremde Aspekte hinzukommen. So entsteht im Prinzip eine Differenz zwischen ihrer eigentlichen und ihrer fremdbestimmten Rolle. 

Ein dritter Aspekt, der in den Arbeiten Celestinos mitschwingt, ist die Fürsorge, die ausstellende Museen für die Objekte haben. Während diese bei einem entliehenen Werk, so wie im Fall von RENTAL/FATHER und Privacy, vertraglich festgelegt ist, ist die Definition von Fürsorge im Falle unrechtmäßig erworbener Kulturgüter nicht so eindeutig: Eine westliche Institution wird Fürsorge mit optimalen Bedingungen der Restaurierung und Konservierung definieren. In den Herkunftskulturen geht es unter Umständen nicht vorrangig um den konservatorischen Erhalt, sondern um die die Stellung der Objekte und Kunstwerke im Kontext der Lebenswirklichkeit der Menschen und ihrer kulturellen Alltagspraxen. Sich dieser Differenz bewusst zu sein, ist wichtig um den Prozess der Rückgabe voranzubringen.

Helena Uambembe führt in ihrer für das Haus der Kunst entwickelten Serie O.o.n.o.o Fever Dreams ihre Auseinandersetzung mit den psychologischen Auswirkungen von Vertreibung und kollektiven Traumata fort. Dabei greifen die gezeigten Gemälde, Skulpturen und Installationen ineinander und veranschaulichen nicht nur wie interdisziplinär sie aufgestellt ist, sondern auch wie in ihrem Werk die Kraft der Kunst jenseits von Aktivismus spürbar wird, so Jana Baumann. 

In ihrem künstlerischen Schaffen verdeutlicht Uambembe die enge Verzahnung von Welt- und Familiengeschichte und setzt sich mit den Themen Heimat, Vertreibung, Rückgewinnung und Identität in postkolonialem Kontext auseinander. 

Ihr Vater, geflohen vor dem Bürgerkrieg in Angola, ist Veteran des berüchtigten 32. Bataillons der südafrikanischen Apartheidarmee: Zahlreiche aus Angola zunächst nach Namibia geflüchtete Männer wurden gezwungen in diesem 1975 gegründeten Bataillon zu kämpfen oder nach Angola zurückzukehren, wo sich an den Unabhängigkeitskrieg und den Entkolonisierungskonflikt unmittelbar ein Bürgerkrieg (1975 bis 2002) anschloss. Als Teil dieser Antiaufstandseinheit mussten die Männer zunächst gegen die nach Unabhängigkeit strebenden Namibier:innen kämpfen und wurden schließlich im eigenen Herkunftsland eingesetzt, um dort gegen die angolanische Befreiungsbewegung MPLA zu kämpfen. Weiterhin waren die Soldaten gezwungen, eine ebenfalls aus Angola geflüchtete Frau zu heiraten, um eine Familie zu gründen. Uambembe kam ein Jahr nach der Auflösung des Bataillons in der südafrikanischen Wüstenstadt Pomfret auf die Welt, wo zahlreiche Familien ihre Geschichte teilen. Ihr Werk ist eine komplexe Auseinandersetzung mit diesen Traumata ihrer Familie, eine vielschichtige Annäherungen an die Erinnerungen und Leerstellen, die durch das Schweigen ihres Vaters entstanden. So auch die „halluzinatorischen Gemälde“ (Uambembe) der Serie O.o.n.o.o Fever Dreams: Immer wieder tauchen hier die sich durch ihr Œuvre ziehenden Büffelhörner auf, die auf das 32. Bataillon anspielen. Eine der ohne Keilrahmen an der Wand befestigten Leinwände zeigt eine Personengruppe - eine Frau, ein Kind sowie eine Person mit Büffelhörnern - vor abstraktem Hintergrund. Fast scheint es, als posierten die drei inmitten eines Wirbelsturms aus rotem Sand. Die Frau ist die einzige, deren Gesicht ausgearbeitet ist, das vor ihr stehende Kind sowie die dritte Person haben keine Gesichtszüge. Das Werk trägt den Titel her and the survival (Sie und das Überleben) (2025) - eine Hommage an Uambembes Mutter und ihr Schicksal?

O.o.n.o.o Fever Dreams widmet sich weiterhin den Überschneidungen von gemeinsamen Trauma und dem Vorwurf der Hexerei und reflektiert darüber, „wie die Angst vor dem Unbekannten weiterhin sowohl globale Realitäten als auch psychische Landschaften prägt“ (Uambembe). Mit Blick auf die zunehmende Fremdenfeindlichkeit eine Auseinandersetzung, die mitnichten auf den persönlichen Kontext der Künstlerin zu reduzieren ist. 

Die Dauer der Ausstellung überschneidet sich übrigens mit dem Internationalen Tag gegen Hexenwahn, den das deutsche katholische Hilfswerk Missio seit 2020 jährlich am 10. August ausruft. Mit ihm soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass nach wie vor zahlreiche Menschen dem Hexenwahn zum Opfer fallen. Auf der Suche nach Schuldigen für die mannigfachen Krisen und Probleme, werden einzelne Menschen - zumeist Frauen - verantwortlich gemacht und erhalten oft tödlich endende Strafen. 

In Uambembes Repräsentation ist ein großer weißer Kubus zu sehen, der im Inneren von oben bis unten in militärgrünem Polster ausstaffiert ist. Ein lautes, knackendes Geräusch ist zu hören, das nach einigen Augenblicken unangenehm wird, dem man unbedingt entkommen möchte. Man hebt den Stoff am Eingang der Zelle hoch um nach draußen zu gelangen und liest an der gegenüberliegenden Wand: „But are you awake? You are not safe it’s only a matter of time.“ An dieser Stelle verdeutlicht Uambembes Präsentation sehr klar, dass die in ihrem Werk behandelten Themen uns alle angehen, dass auch die in verschiedener Hinsicht als privilegiert Geborenen aus ihrem Traum aufwachen müssen, um die Welt zum Besseren zu wenden.

Mehr Texte von Ferial Nadja Karrasch

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

ars viva 2025. Where will we land?
27.06. - 21.09.2025

Haus der Kunst München
80538 München, Prinzregentenstrasse 1
Tel: +49 (0)89 21127-113, Fax: +49 (0)89 21127-157
Email: mail@hausderkunst.de
http://www.hausderkunst.de/
Öffnungszeiten: Mo – So 10.00 – 20.00, Do 10.00 – 22.00


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2025 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: