
Die Welt von morgen wird eine weitere Gegenwart gewesen sein: In welcher Zeit leben wir?
Fünf Künstler:innen und ein Kurator als Regisseur schreiben das Drehbuch der aktuellen Ausstellung im Mumok. Der langwierige Titel thematisiert die Frage nach dem Wesen unserer Zeit. In welcher Zeit leben wir? In der Ausstellung versuchen die sechs Personen, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Dabei soll die zeitliche Resonanz zwischen der Kunst der klassischen Moderne aus der Museumsammlung, insbesondere aus den goldenen Zwanzigern des 20. Jahrhunderts – und der Gegenwart nachgespürt werden. Der dynamisch im Baseball-Cap auftretende Kurator Franz Thalmair sorgt dafür, dass die gewünschte Vision ergreifend und vielseitig umgesetzt wird.
Da diesmal nicht einzelne Werke, sondern raumgreifende, installative Arbeiten der fünf Künstler:innen als Hauptakteure im Mittelpunkt stehen – jede in einem zugeteilten Raumsektor –, ist die Verknüpfung zwischen den historischen und neuen Arbeiten besonders eng, komplex und fließend. Dies animiert die Besucher:innen zur Wanderung zwischen den Werken. Die medial diversen Ausstellungsstücke – von Skulptur bis zum Video – verbindet zusätzlich eine breite blaue Linie wie ein Ariadnefaden, der beim Zweifeln hilft. Entworfen nach der Idee des Studios Kehrer, ist das fette blaue Band am Boden ein ständiger Begleiter. Diese gestalterische Intervention hat vermutlich die Funktion verfließender Zeit.
Die Schau im Mumok ist keine „Apokalypse mit Schmerzen”, und der Glaube an Fortschritt ist ihr fremd. Die Zukunft tritt ohne Träume klassischen Avantgarde in Erscheinung. Egal, wie sie auch immer aussehen mag: Jede/r der hier präsentierten Kunstschaffenden dekonstruiert, beschneidet, eignet an, verkleinert, wandelt um und transformiert somit sein Lieblingsmaterial - auf die jeweils eigene Art und Weise. Dabei werden die Themen Bildpolitik, Körperbilder und Verfassung der Gesellschaft im Zeitalter der Algorithmen zwischen Erinnerung und Vergessen, Kritik und Bejahung aufgegriffen.
Als Erstes begegnet man der Installation von Lisl Ponger. Sie ist Fotografin und Filmemacherin und beschäftigt sich seit langem mit den Problemen des Postkolonialismus im Kontext von Museen als Institutionen. In "Work on Progress” zeigt Ponger eine Ansammlung verschiedener Objekte, wie etwa Masken, afrikanische Gewänder, Kataloge oder auch eine Pistole. Offensichtlich sind diese Gegenstände teilweise auch auf ihren großformatigen Fotografien zu sehen, ebenso gibt es Verbindungen zu Details auf den Bildern von Florence Henri oder E. L. Kirchner. Laut der Künstlerin produzieren die Bilder nachwirkende Stereotypen und sie hat diesbezüglich einige „Bedeutungslinien” herausgefunden. Diese verlaufen zwischen ihrer Fotografie „Geisterbeschwörung“, dem Kopfstand-Bild „Nachessen in Dresden” von Georg Baselitz und der Malerei „Haus im Grünen” von Ernst Ludwig Kirchner. Es ist erstaunlich, wie sich alles wie am Reißbrett zusammenschließt.
In ihren sphärischen Fotografien und der ins Monumentale springenden Montage-/Collage-Installation „The Collectors Room” zeigt Anita Witek hingegen weniger Details als vielmehr die optische Gesamtwirkung ihrer diesmal ins 3D erweiterten, teilweise auf Textilien gedruckten Formenkompositionen. Witeks Werke setzen sich aus reproduzierten Versatzstücken aus diversen Printmedien zusammen und fallen durch abstrakt anmutende Farbverläufe und Licht-Schattenspiele auf. Die Verbindung zu dem Kleinbild „Panoptikum“ von František Muzika (1944) ist absolut bemerkenswert. Die Verbindungen zum Kubismus sind offensichtlich.
Von den Künstlerinnen der jüngeren Generation sind in der Ausstellung zwei Installationen zu sehen: Barbara Kapusta stellt sich in einer großformatigen Textwand den Fragen nach den zukünftigen Formen des Zusammenlebens. Auf der 3. Etage sind ihr schwarzes Flammen-Alphabet und ein paar technoid-queere Aluminiumgestalten zu sehen – beide Einbildungen, die sowohl übergroß als auch fragil sind. Die von ihr aus der Sammlung „ausgegrabene” Skulptur von Alicia Penalba (1957) korrespondiert mit den fluiden Ideen und Formen der Künstlerin sowie mit den Zeichnungen einiger französischer Surrealisten. Die aus Nigeria stammende Fotografin Frida Orupabo rekonstruiert den kolonialen Blick in Bezug auf marginalisierte, sexualisierte und rassistisch denunzierte Frauenkörper und holt sich ihr vorgefundenes visuelles Material vorwiegend aus kolonialen Archiven, das sie später für Collagen verwendet, auch um Bildbrüche und Zerstörung zu betonen. Da ihre fotografischen Bildwelten die Formen spezifischer Reliefs oder gelegentlich einer Wandinstallation annehmen stellt Orupabo ihr Schaffen in den Kontext der Bildhauerei der Moderne beispielweise Brancusi und Giacometti.
Die größte Überraschung der Ausstellung ist jedoch die Teilnahme des ukrainischen Künstlers Nikita Kadan, der in Kyjiw lebt und nach der Eröffnung im Mumok wieder dorthin zurückkehrte. Seine Beteiligung an der Ausstellung in Wien hat er dem Krieg in seinem Land zu „verdanken”. Genau darum geht es in seinem eindringlichen Beitrag: um Krieg und Gewalt. Kadan beleuchtet die Mechanismen des Erinnerns und Vergessens am Beispiel von Denkmälern und ihrer ambivalenten Tragik. Bereits an der dunklen Museumfassade begrüßt seine Arbeit die Besucher*innen, die er dort nahezu grau in grau als Denkmal und Mahnmal zugleich installierte. „On Protection of the Monuments” besteht aus vier vernetzten Fragmenten - darunter der Kopf eines Soldaten, ein Helm, ein Torso sowie eine Fahne - alles Teile eines Monuments. Dieses wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs anlässlich des Sieges über den Faschismus errichtet und dann zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Zuge der russischen Aggression gegen die Ukraine durch dieselben politischen Kräfte zerstört. Solche Momente der „Hervorbringung und Verwüstung” als Syndrom wandelnder Ideologien und globaler Transformationen wiederholt der Künstler in weiteren Skulpturen im Inneren des Museums. Ein Beispiel ist die formal minimalistische Skulptur „Limits of Responsibility”, die die Erinnerung an den „Euromaidan” und die Proteste der Aktivist*innen wachhält. Das skulpturale Objekt aus weiß lackiertem Sperrholz mit einem Beet dazwischen, in dem Gemüse zur Selbstversorgung wächst, wird lange in Erinnerung bleiben.

23.05.2025 - 06.04.2026
mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 52 500, Fax: +43 1 52 500 13 00
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