Werbung
,

Sag mir, wo die Blumen sind... 80 Jahre nach dem Krieg - Fotografien von Roger Cremers: Wann wird man je verstehn?

Es ist seltsam still in Europa. Heuer begehen wir den 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und es fallen einem nur wenige medial präsente Feierlichkeiten dazu ein. Es ist verwunderlich, bedeutet doch dieser Jahrestag in Österreich und weiten Teilen Europas das Ende einer satanischen Diktatur.

Der Erinnerung auf der Spur ist seit dem Jahr 2005 der niederländische Fotograf Roger Cremers, der derzeit unter dem Titel „Sag mir wo die Blumen sind …“ eine Personale im Jüdischen Museum in Wien am Judenplatz hat.

Cremers dokumentierte mit seiner Kamera kontaminierte Landschaften, Schoa-Gedenkstätten, Soldatenfriedhöfe im Westen, Reenactments von Schlachten in Frankreich und Stätten östlicher Gedenkkultur. Letztere sind teilweise verfallen oder gigantomanische Denkmäler.

Die Serie „World War II Today“ von 2008 nahm seinen Ausgang von einer Fotografie, die Cremers 2005 von einer amerikanischen Touristengruppe in Auschwitz-Birkenau schoss. Dabei fotografierte er ein T-Shirt eines älteren Mannes worauf zu lesen stand: „Laugh! That´s an order.“

Dieses Foto fiel Roger Cremers einige Zeit nach dessen Entstehung wieder in die Hände und bildete den Ausgangspunkt für seine Recherche zu privater Erinnerung an öffentlichen Orten. Dabei stellt sich die Frage: Was ist privat und was ist öffentlich? Was verstößt gegen die guten Sitten? Was darf dem Vergessen anheimfallen und was nicht? Entstanden ist daraus der Zyklus, der über die Jahre stetig erweitert wurde und nun hier in Wien zu sehen ist. 2009 erhielt er für seine Fotografien von Auschwitz Birkenau den World Press Award.

In Auschwitz entstand ein Foto von zwei Personen, eine gebeugt, die anderen fast knieend, vor den Resten von Krematorium 3. Einer der Männer ist mit einer israelischen Fahne bedeckt, vor den beiden trauernden stehen kleine Teelichter. Die Fahne umhüllt die Person fast zur Gänze, sie wirkt wie eine schützende Plane - um das Grauen leichter zu ertragen.

Cremers beobachtet sehr genau und lässt uns bei näherer Betrachtung durch seine Bilder den Atem stocken. Da sind zwei ungarische Touristen in knallroten Trainingsanzügen mit Baseballcap und Kameras unterwegs und fotografieren Auschwitz Birkenau.

Cremers Fotografien denunzieren nie die Gezeigten aber sie rufen in uns die Ambivalenzen hervor, die jene in sich tragen. Es ist immer der beobachtende Gestus, den Cremer einnimmt. So fotografiert er mit einer RolleiFlex Kamera, bei der er von oben in die Kamera hineinschaut. Cremers meint, damit von der Umgebung nicht wahrgenommen zu werden. „Unsichtbar“ zu sein hat unbestritten Vorteile beim Sichtbarmachen von Anderem.

Cremers hat im Laufe der Jahre seine Spurensuche auch in den ehemaligen Osten ausgeweitet. So fotografierte er die Siegesstatue von Stalingrad und Soldatengräber im Osten, die so oftmals erst sichtbar werden, in Gegensatz zu den gepflegten Soldatengräbern im Westen.

Dazu sind auch Aufnahmen von Suchen nach russischen Gefallenen des Suchdienstvereins „Stalingrad“ der staatlichen landwirtschaftlichen Universität Wolgograd und des Suchdienstvereins „Hoffnung“ des Rajons Gorodischtsche von 2013 zu sehen. Fotos von Totenköpfen erinnern nicht nur an die Entscheidungsschlacht des 2. Weltkriegs für Europa, sondern auch daran, dass der einzelne Soldat nichts zählte.

Eine der schönsten Aufnahmen dieser Serie ist eine Fotografie, aufgenommen in Kiew 2013 im „Park des ewigen Ruhms“, wo ein Brautpaar im Regen vor einem Gedenkkranz Blumen niederlegt. Sie ehren damit ihre Großeltern die im 2. Weltkrieg gefallen sind oder gedient haben. Das Bild ist durch den Regen in einem weißlichen grau gehalten und fängt die Feierlichkeit des Moments gekonnt ein. Dieses bombastische, monumentale Gedenken gegenüber dem einzelnen Soldaten setzt Cremers behutsam um.

Die Stille in Europa ist nur eine einseitige. An den Rändern des Kontinents und im Nahen Osten tobt Krieg und wer wird an das einzelne Opfer denken, das für die Freiheit fiel, außer seine Nähesten?

Mehr Texte von Susanne Rohringer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Sag mir, wo die Blumen sind... 80 Jahre nach dem Krieg - Fotografien von Roger Cremers
08.05.2025 - 18.01.2026

Museum Judenplatz
1010 Wien, Misrachi-Haus, Judenplatz 8
Email: info@jmw.at
http://www.jmw.at
Öffnungszeiten: So-Do 10-18 h, Fr 10-14 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2025 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: