
Balkon ohne Aussicht
Im Jahr 2023 sorgte ein Video der Freiheitlichen Jugend für Aufsehen, weil neben vielen rechtsextremen Grauslichkeiten, auch der Balkon über dem zentralen Eingang zur Hofburg am Heldenplatz bedeutungsschwer ins Bild gerückt wurde.
Seit dem Ende des 2. Weltkriegs ist dieser Balkon einer der schwierigsten Orte im Geschichtsbewusstsein Österreichs, denn am 15. März 1938 hielt Adolf Hitler seine „Anschlussrede“ zur „Heimholung“ Österreichs in das Deutsche Reich vor zehntausenden jubelnden „Opfern“ des Anschlusses. Damit war der Balkon für die Republik Österreich nicht mehr nutzbar – die Unterzeichnung des Staatsvertrags und die öffentliche Präsentation des Dokuments fand eben aus diesem Grund im Belvedere und auf dem dortigen Balkon statt. Nur noch einmal, im Jahr 1992 wurde der Balkon für eine Rede geöffnet: Der Holocaust-Überlebende Elie Wiesel hielt von dort aus eine Rede gegen Rassismus und für Erinnerkungskultur.
Bereits vor dem umstrittenen Video begann eine Debatte um den Umgang und eine Öffnung des Balkons für Besucher:innen. Besonders die Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich, Monika Sommer, setzt sich für eine Neukontextualisierung des umstrittenen Ortes ein.
Gemeinsam mit der Kunstuniversität Linz lud das Haus der Geschichte Österreich nun drei Künstler:innen bzw. -gruppen ein, Entwürfe für eine Nutzung des Balkons als öffentlich zugängliches „Denkmal für die Republik“ zu entwickeln.
Gabriele Edlbauer, Franz Wassermann und die Gruppe Ramesch Daha / Fabian Antosch / Philipp Oberthaler stellten heute, am 22. April ihre Entwürfe im Foyer des hdgö vor. Die Vorschläge konnten völlig frei von denkmalschützerischen oder architektonischen Vorgaben entwickelt werden, denn an eine Umsetzung kann derzeit aufgrund des fehlenden politischen Willens, nicht einmal gedacht werden. Als Anregung für eine intensivere öffentliche Debatte um zeitgenössische Erinnerungskultur dienen die drei Entwürfe aber allemal.
Den radikalsten Umbau des Balkons schlägt Gabriele Edlbauer vor, denn sie möchte den gesamten Altan um 180 Grad in das Gebäude drehen. Damit wird der umstrittene Balkon seiner Funktion beraubt. Gleichzeitig wird damit das „Alma Rosé Plateau im Haus der Geschichte Österreich“ nach außen gekehrt. Der direkt hinter dem Balkon im Inneren der Hofburg gelegene Ort erhielt seinen Namen in Erinnerung an die jüdische Musikerin und Leiterin des Frauenorchesters des KZ-Auschwitz-Birkenau Alma Rosé.
Die drei Künstler:innen Ramesch Daha, Fabian Antosch und Philipp Oberthaler planen ebenfalls einen Eingriff in die Gebäudearchitektur. Eine niedrige Glasdecke soll den Balkon zwar begehbar, aber nicht mehr für den Akt der Selbstüberhöhung im Rahmen einer Ansprache nutzbar machen. Auch bei der Umsetzung der Idee von Franz Wassermann wird der Balkon für das Publikum geöffnet. Auf dem zentralen Platz vor der Brüstung platziert Wassermann allerdings einen großen Granitstein aus dem Steinbruch des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen.
Bei der Auslobung des geladenen Wettbewerbs war von vornherein klar, dass die Chancen auf eine Realisierung des Mahnmals denkbar gering sind. Doch wie Direktorin Monika Sommer bei der Präsentation betonte, auch die Entscheidung für die Umsetzung von Klemens Wihlidals Entwurf für das Lueger-Denkmal in Wien benötigte 13 Jahre.
Dieses Jahr begeht die Republik Österreich ihr 80-jähriges Jubiläum. Vielleicht ist die Politik ja wenigstens zum Hunderter so weit, eine nachhaltige Gedenkkultur zu etablieren, denn wie wir gerade erleben, sind Rückschritte in dunkle Vergangenheiten schneller gemacht als man annehmen will.
