
Hans Haacke - Retrospektive: Der institutionalisierte Kritiker
Wer sich von der freien Raumanordnung und den zahlreich eingezogenen Trennwänden in der ebenerdigen Haupthalle des Schwanzer-Pavillons überfordert fühlen sollte, dem sei zu einem chronologischen Ausstellungsrundgang geraten. Orientieren kann man sich hierbei an dem nicht zu übersehenden Werk Blaues Segel (1964–65), das sich thematisch noch mit Objekten aus Haackes früher Phase arrangieren lässt. Diese Zeit war unter anderem geprägt von Annäherungen an land art oder die Düsseldorfer Gruppe ZERO. Neben dem wohl bekanntesten Werk Large Condensation Cube (1963–67) gilt in einigen Arbeiten die Aufmerksamkeit physikalischen Prozessen, Aggregatszuständen von Wasser oder der von einem kräftigen Luftstrahl angestoßenen Dynamik von Objekten. Es sind Werke wie Doppeldecker-Regen (1963) oder Säule mit zwei unvermischbaren Flüssigkeiten (1965) mit denen sich Haacke dem Prinzip des minimalen Eingriffs verschreibt, um die Dynamik natürlicher Prozesse so unvermittelt als möglich im Ausstellungsraum zu präsentieren. Dass der Wind wie bei Blaues Segel aus elektrischen Ventilatoren kommt, schränkt die Aussagekraft der Kunst keineswegs ein. Mit dem Werk Gras wächst (1969), ein mit Gras bewachsener Erdhaufen, scheint der Versuch, der gebrochenen Natur im Museum einzugedenken, indem sie vermeintlich unvermittelt dem Publikum dargeboten wird, endgültig den Kulminationspunkt in seinem Œuvre erreicht zu haben. Haackes Intention, die künstlerische Form als bloßen Zierrat aus dem Werk zu verbannen („Die äußere Form hat keine Relevanz. Ich bin nicht interessiert an formalen Fragen“), lässt einen Ästheten freilich sauer aufstoßen, zumal die im Museum ausgestellte begrünte Erde die für die rohe Natur eher untypische Form eines perfekten Kegels annimmt. Nach und nach wich Haacke jedoch von der antagonistischen Setzung Natur – Kultur zurück und verarbeitete deren dialektische Verzahnung als eine von Eingriff und Zerstörung geprägte Verfallsgeschichte. In Werken wie der Rheinwasseraufbereitungsanlage (1972) klagt er nicht nur die Verschmutzung von Wasser an, sondern nennt auch jene Firmen, deren schädliche Externalitäten als Ursache dafür galten. Darin zeigt sich bereits der investigative Gestus eines späteren Haackes, der bald darauf die Naturkonzepte hinter sich lassen wird, um durch das Aufzeigen dubioser Verstrickungen kultureller Institutionen und ihren Mäzenen Aufmerksamkeit zu erregen.
Exemplarisch für Haackes frühe Phase der Institutionskritik ist beispielsweise das Werk Shapolsky et al. Manhattan-Immobilienbesitz – Ein gesellschaftliches Realzeitsystem, Stand 1.5.1971. Hierbei handelt es sich um eine akribisch recherchierte Übersicht des New Yorker Immobilienbesitzes der Gruppe Shapolsky, der dazumal aus 142 Grundstücken bestand. Konzipiert für eine Soloausstellung im Guggenheim, welche daraufhin abgesagt wurde, gilt dieses Werk als paradigmatisch für eine kritische Avantgarde, die ihre ästhetischen Ansprüche hinter ihren politischen Interventionen zurückstellte. Während zu jener Zeit gerade die Hochphase autonomer Kunst auch Stile wie die minimal art hervorbrachte, nutzten Künstler wie Haacke, Broodthaers oder Buren den ihnen gewährten Freiraum, um dessen Bedingungen selbst zum Gegenstand der Kunst zu machen. Im Unterschied zu offeneren Formen wie den Readymades oder Werken der minimal art scheint hier das Privileg des Publikums, der Interpretation freies Spiel zu lassen, erhebliche Einschnitte zu erfahren. Diese beschränkt sich, bei ausreichender Selbstreflexivität, sodann darauf, Überlegungen zur Bedingung der eigenen Position im Ausstellungsraum anzustellen, wie Juliane Rebentisch mit Bezug auf Haacke in Theorien der Gegenwartskunst (2015) hervorhebt.
Haackes Kunst demonstriert die Möglichkeit, den (formal–)ästhetischen Selbstzweck künstlerisch aufzubrechen, und zwar innerhalb eines Rahmens, der alles, das äußere Zwecksetzungen vermuten lässt, aus sich heraus verbannt. Der Preis dafür ist allerdings kein geringer. Fragen der Ästhetik, des Materials oder der (kunst-)historischen Kontextualisierung werden auf ein Minimum reduziert, die Form wird eilig dem Inhalt überführt, ohne Anspruch auf eigene Autonomie zu erheben. Die aus 14 Bildtafeln bestehende Serie der Pralinenmeister (1981) ist nur ein erneuter Beweis dafür. Die kapitalistische Komplexität wird hierbei auf den Mikrokosmos Museum reduziert, um zu zeigen, inwiefern der Glanz der Kunst erkauft wird durch prekäre Arbeitsbedingungen. Ohne Mehrdeutigkeiten zuzulassen werden hier auf der einen Hälfte der Tafeln Zitate des Kunsthistorikers und Sammlers Peter Ludwig (MUMOK; Museum Ludwig) gezeigt, um diesen dann Fotografien aus Ludwigs Schokoladenfabrik gegenüberzustellen. Zu simpel scheint oft Haackes Versuch, sich an jener Oberfläche festzuklammern, die offensichtlich die Willkür unseres Gesellschaftssystems zur Schau stellt. Wesentlich brisantere Formen des künstlerischen Eingriffs lassen sich an der Dokumentation seiner Installation im deutschen Pavillon von 1993 festmachen, wo er die neoklassizistischen Bodenplatten aufbrach und die Besucher*innen durch Fotos von Hitlers Biennale Besuch sowie der Aufschrift „GERMANIA“ mit der nationalsozialistischen Genese des Pavillons konfrontierte.
Leicht zu übersehen ist zudem die Bespielung des Skulpturengartens mit einem Werk Haackes. Eingebettet zwischen der überdimensionalen Baseballkappe von Maruša Sagadin und dem Werk Chará von Kris Lemsalu findet sich hier die monumentale Skulptur Geschenkter Gaul (2014). Bei dieser handelt es sich um die Darstellung eines Pferdeskeletts, im Stile eines klassischen Reiterstandbildes, dessen Vorderbeine ein elektrisches Laufschriftband ziert. Als die Skulptur erstmalig im Rahmen der vom Londoner Bürgermeister beauftragten Fourth Plinth Projektserie am Trafalgar Square gezeigt wurde, war das Laufschriftband mit den tagesaktuellen Börsenkursen der Londoner Börse versehen. Ortsangepasst kann man sich schließlich vorm Belvedere 21 über jene Kurse der Wiener Börse informieren, oder auch echauffieren. Programmatisch und nicht ohne triviale Symbolik wird hier erneut der Finanzmarkt-Kapitalismus als mögliche Zielscheibe vehementer Künstlerkritik markiert.
Anders als bei Künstler:innen, die mit ihrer Kritik sogleich die Abschaffung von Kunstinstitutionen fordern, scheint Haacke jedoch an einer demokratischen Transformation interessiert zu sein, auch um diese gegen jedwede Instrumentalisierungen zu verteidigen. Dies verdeutlich er nicht zuletzt mit seiner eigens für die Wiener Ausstellung adaptieren Besucher:innenbefragung. Wie auch bereits in seiner einschlägig institutionskritischen Arbeit MoMA Poll (1970) wird das Museumspublikum erneut als demokratische Öffentlichkeit wahrgenommen und zur Partizipation an einer politischen Umfrage aufgefordert. Während diese Arbeit offenkundig weltpolitische Debatten (Klima; Ukraine; Nahostkonflikt) in die Ausstellung überträgt, ließe sich ähnliches Modell auch mit Blick auf eine partizipative Transformation des musealen Raums selbst erdenken. Zu sprechen wäre im Falle Haackes daher von solidarischer Institutionskritik, oder, wie die Künstlerin Andrea Fraser 2005 formulierte: „Wir sind die Institution“.
01.03 - 09.06.2025
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