
Stolen Past, Threatened Future: Heim suchen, Heimsuchen
Wenn Ruslana Kliuchko früher in den in den Himmel schaute, galten die vorbeifliegenden Vögel als ein Symbol für Freiheit. Jetzt überfällt sie Angst – alles, was über den Himmel fliegt, könnte ebenso eine russische Rakete sein. Der Krieg erzwingt in der ukrainischen Bevölkerung einen Perspektivwechsel. Alte Erinnerungen, so sie nicht schon verblassen, stehen plötzlich in einem ganz neuen Kontext. Mykola Shandra bastelte schon als Kind eine Armbrust aus Wäscheklammern – seine Kindheit in Odessa war geprägt von Gesprächen, Nachrichten, Nachdenken über Waffen. Auch bei ukrainischen Kindern heute ist das zu beobachten. Was zuvor eine reine Kindheitserinnerung war, steht nun für die systematische Unterdrückung und das geteilte Trauma der ukrainischen Bevölkerung. “Erinnere dich an die Erste-Hilfe-Regeln für PTBS” (posttraumatische Belastungsstörung) heißt es in einer Arbeit von Vasylyna Buryanyk. Mittlerweile eine Volkskrankheit.
Die Ausstellung Stolen Past, Threatened Future, kuratiert von Matilda Cherednichenko, illustriert sehr eindrücklich die Probleme, Ängste und Erfahrungen, die seit der russischen Invasion allgegenwärtig sind. Die Werke stammen sowohl von Künstler:innen, die noch in der Ukraine leben, als auch solchen, die im Exil ihre Erfahrungen durch Kunst verarbeiten. Drei der Werke sind wegen der scharfen Grenzkontrollen noch nicht in der Ausstellung angekommen. Man muss froh sein, wenn sie überhaupt wieder auftauchen, erzählt man mir. An ihrer Stelle klaffen Lücken. Die Kuratorin hängt bewusst den von ihr aufgesetzten Brief an die Grenz- und Zollbehörde in die Leerstelle: Es soll nichts verschwiegen, nichts unter den Teppich gekehrt werden. Die Ausstellung weigert sich, den Krieg zu normalisieren. Die Erlebnisse im Krieg sind erschütternd alltäglich, aber beim besten Willen nicht normal. In Österreich haben wir das Privileg, lediglich durch Ausstellungen wie diese Einblicke in jene Realitäten zu bekommen – und müssen dieses Privileg auch als solches wahrnehmen.
Stolen Past, Threatened Future spricht für sich. Sie erklärt, was unmöglich erzählt werden kann. Erinnert uns, für Solidarität ein- und gegen Krieg und Vertreibung aufzustehen.

12 - 19.03.2025
Exhibit Eschenbachgasse
1010 Wien, Eschenbachgasse 11/Ecke Getreidemarkt
https://www.akbild.ac.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-18, Sa 11-15 h Feiertage geschlossen