
Holding Space: Wer gibt hier wem Raum?
In der Kunsthalle Exnergasse ist derzeit eine Gruppenausstellung zu sehen, die sich mit der Fürsorgetätigkeit im zwischenmenschlichen Leben auseinandersetzt. Die Arbeiten reichen von Videofilmen, Stoffskulpturen, Fotografien, bestickten Stoffbahnen über beschriebene Bänke bis zu einer Zusammenstellung von Archivmaterialien der feministischen Architektinnen-Gruppe Matrix aus dem London der 1980er-Jahre.
Die teilnehmenden Künstlerinnen – Özlem Altin, Katarina Csányiová, Every Ocean Hughes, Eva Kot`átková, Matrix Feminist Design Co-operative, Rory Pilgrim, Finnegan Shannon, P. Staff, Dorottya Vékony, Sophie Utikal, Anna Witt, WWHIVD – wurden von den Kuratorinnen Flóra Gadó und Judit Szalipszki ausgewählt.
Als ideologische Klammer dieser Ausstellung fungiert die Bezeichnung Doula, die aus dem griechischen übersetzt, Sklave, bedeutet. Die Ausstellungsmacher verstehen darunter aber nicht nur eine Person sondern auch eine Tätigkeit, die von mehreren Personen ausgeführt werden kann.
Im amerikanischen Leben durchaus bekannt, wird Doula oft mit dem europäischen Begriff der Hebamme gleichgesetzt. Dennoch gibt es einen Unterschied, denn eine Doula muss kein medizinisches Wissen, wie eine Hebamme, vorweisen. Doula meint im Amerikanischen vielmehr die Begleitung von Schwangeren Personen bis zur Geburt und darüber hinaus. Dies kann aber auch weitergedacht werden und inkludiert in der Ausstellung die Begleitung von Sterbenden, Begleitung in schwerer Krankheit in einem alternden Leben sowie Begleitung bei Unfruchtbarkeit und den damit auftretenden Problemen.
Besonders eindrucksvoll zeigt dies die Arbeit „Care“ von Anna Witt aus 2017, wo einige ältere Damen in Japan einen Tanz entwickelten, der sich aus den Erzählungen von indonesischen Pflegekräften speist. Diese thematisieren in aufgezeichneten Gesprächen und eingeblendeten Sätzen ihre Einsamkeit im fremden Japan, die Isolation der alten und kranken Menschen und auch das Fehlen des Themas „Altern“ in der doch stark geriatrischen Gesellschaft Japans.
Ein ähnliches Thema wie bei Anna Witt verhandelt auch Katarina Csányiová mit ihrem Video „Carenomadinnen“ von 2021. Sie lässt dabei slowakische Altenpflegerinnen zu Wort kommen, die auf ihrer Heimreise aus Österreich über ihre Arbeitsbedingungen, über ihre soziale Absicherung sowie über ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche sprechen und träumen. Es sind hier erneut Migrantinnen, die die sogenannte „Care“-Arbeit verrichten. Hiermit lagert die Gesellschaft die intimste Phase ihrer MitbürgerInnen, nämlich das hinfällige Altern, an die Schwächsten, nicht wirklich zur Gesellschaft Gehörenden aus.
Etwas heiterer und tatkräftiger ist der Verweis auf das Künstlerkollektiv Matrix, das in den 80er Jahren Fragen nach umgebenden Räumen und Architektur stellte. Die Architektinnen und Künstlerinnen, stellten damals fest, dass die Straßen und Häuser von Männern für Männer gemacht sind. Weibliche Bedürfnisse kamen in der Architektur nicht vor. Auf dem Poster in der Ausstellung ist eine Frau zu sehen, die einen Kinderwagen einen U-Bahn Aufstieg hinaufschleppt. Die Engländerinnen gestalteten Bauprojekte für und mit Frauen und waren ein wichtiges Sprachrohr für architektonische Räume für Frauen.[1]
Dass man auch fit sein muss, um am Ausstellungs- und Kulturgeschehen teilnehmen zu können, betont Finnegan Shannon. Seine/Ihre Blaue Bank mit der Aufschrift „do you want us here or not“ macht deutlich, dass es für der Inklusion bedürftige Personen wenig Sitzgelegenheiten und barrierefreien Raum im aktuellen Kunstbetrieb gibt. Shannon stellt die Frage nach der Partizipation, wie sie auch die indonesischen oder slowakischen Pflegerinnen stellen. Dabei sind nur einige Beispiele aus der Ausstellung genannt. Andere Videos thematisieren Ähnliches, wie den Kampf gegen Krebs, gegen Nebenwirkungen der Chemotherapie in P. Staff`s Arbeit „Weed Killer“ von 2017.
Überströmend warmherzig gibt sich die Ausstellung mit der Arbeit der tschechischen Künstlerin Eva Koťátková, die aus Stoffbahnen, Schnüren und Metall Kostüme schafft, in die man am liebsten hineinschlüpfen möchte. Es sind ideale Orte des Schutzes und der Geborgenheit. Koťátkováschafft alternative Räume, im Gegensatz zu den performativen Videoarbeiten.[2]
Der gesamten Ausstellung haftet eine Art dokumentarische Aufzeichnung mit künstlerischem Anspruch an. Es ist die Frage, ob solch politische Überlegungen der „social-care“ im künstlerischen Betrieb mehr als Bewusstsein schaffen können. In breiteren Disziplinen müssen Sie lobbyiert und diskutiert werden.
Jedenfalls ist den beiden Kuratorinnen und Künstlerinnen eine bemerkenswerte Ausstellung gelungen, die wichtige Fragen stellt und die gesehen werden sollte.
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[1] http://www.matrixfeministarchitecturearchive.co.uk/
[2] Eva Koťátková nahm 2022 mit dem Zitat einer Giraffe an der Biennale di Venzia teil. Man konnte in die aus Stoff gefertigte Giraffe hinein gehen und sich hinlegen. Die Künstlerin nahm dabei Bezug auf die erste Giraffe in Prag im 19.Jahrhundert im Zoo.
13.03 - 26.04.2025
KEX Kunsthalle Exnergasse
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