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Ein Luftschloss in den Bergen

Wu Tsang kreiert das erste Cloud Castle im Klanghaus Toggenburg

 

Was entstehen kann, wenn sich vier Kunsthäuser zusammenschließen, zeigt sich im ersten Cloud Castle mit Wu Tsang im Klanghaus Toggenburg. „Cloud Castle ist ein imaginärer Ort, an dem visionäre Kunstprojekte entstehen dürfen“, definieren Letizia Ragaglia vom Kunstmuseum Liechtenstein, Thomas D. Trummer, Kunsthaus Bregenz, Stephan Kunz, Bündner Kunstmuseum Chur und Gianni Jetzer vom Kunstmuseum St. Gallen. Das erste Wolkenschloss verfing sich noch dazu in einem zur Wirklichkeit gewordenen Luftschloss, in einem begeh- und bespielbaren Resonanz(bau)körper, der nach zwanzig Jahren Durchhaltevermögen und Überzeugungsarbeit einzelner Visionäre, als Architektur für Kunst und Kultur hoch droben in den Bergen steht. Dabei hatten die Direktorin und Direktoren diesen Ort noch gar nicht im Sinn, als sich der Name der bildenden Künstlerin und Filmemacherin Wu Tsang schon herauskristallisierte.

Aber warum Cloud Castle? Sind die vier renommierten Kunsthäuser nicht genug ausgelastet mit ihren aufsehenerregenden Ausstellungen, interessanten Programmen, experimentellen Performances? Im ersten „Cloud Castle Podcast“ geben die Verantwortlichen in lockerer Gesprächsrunde Aufschluss: Cloud Castle sei eine innovative Plattform an einem imaginären Ort. Ein schwebendes „Luftschloss“, das sinnbildlich für die Idee eines prozessualen, immateriellen Raums stehe, der ermöglicht, Kunst in ihrer flüchtigsten und zugleich verbindlichsten Form zu erleben. Es ist eine Erweiterung, die nicht an ein Haus gebunden ist und die auch nicht von einer Institution alleine verwirklicht werden könnte. Die vier wollten etwas anderes wagen, ausloten was entstehen könnte, wenn sie die klassischen künstlerischen Medien, die etablierten Materialien der Kunstproduktion und die üblichen Metiers verlassen. „Mit Cloud Castle betreten wir Neuland. Wir schaffen einen gemeinsamen fünften Ort, einen Prozess, der keine materiellen Spuren hinterlässt, sondern die Wirkung als flüchtige Realität entfaltet.“ 

Jährlich soll eine Künstlerin, ein Künstler eingeladen werden um ein einzigartiges, ephemeres Kunstwerk für diesen imaginären Raum zu schaffen. Völlig frei gedacht und bereit sich überraschen zu lassen wurden Namen in die Runde geworfen und die Wahl fiel auf Wu Tsang, das erste Luftschloss zu bauen. Als Director-in-Residence am Schauspielhaus Zürich in den letzten fünf Jahren ist ihre Inszenierung von Carmen noch in Erinnerung, die sie mit dem Performance-Kollektiv „Moved by the Motion“ realisierte. Dessen Mitbegründerin Tosh Basco, die Improvisationsformen in Tanz, Theater und Performance erforscht, spielte wiederum eine Hauptrolle in der Aufführung „Carmen in den Bergen“, die Wu Tsang – in Zusammenarbeit mit dem Künstler und Autor Enrique Fuenteblanca – als Fortsetzung ihrer umfangreichen Auseinandersetzung mit der Oper Carmen von Georges Bizet in die alpine Landschaft Toggenburgs transferierte.

Im Rahmen eines mehrtägigen Workshops kreierten die Performance-Künstler:innen nun für das erste Cloud Castle den Carmen-Mythos im Kontext der symbolischen Bedeutung der Berge in Bewegung, Sprache, Musik und Gesang, als eine genreübergreifende Adaption, die Fremdheit und Außenseitertum klanglich wie auch körperlich interpretiert. Wu Tsang ist eine Künstlerin, die dokumentarische und erzählerische Techniken mit fantastischen Abstechern ins Imaginäre verbindet. Die einstündige Darbietung versetzte das Klanghaus in den Bergen in Schwingung und das Publikum in ferne Erlebniswelten: Berührend Tosh Basco als Carmen und Josh Johnson, ihr Liebhaber Don José, im Tanz; eindringlich die Klage der Flamencosängerin Rocío Márquez zum feinsinnigen Spiel des Flamenco-Gitarristen Raúl Cantizano.

Es war aber nicht nur die Premiere von Cloud Castle, sondern auch ein erstes Klangexperiment in den einzigartigen Räumlichkeiten, die kommenden Mai offiziell eröffnet werden. Nicht einfach nur ein Konzerthaus sollte es sein, sondern ein Gefäß zur Erprobung alter und neuer Formen von Musik, Klang und Gesang, ein begehbares Instrument, ein Resonanzkörper, ähnlich dem Korpus einer Violine. Bei der hochdiffizilen Holzkonstruktion galt das Hauptaugenmerk in jedem Detail dem Klang. Der zentrale, zweigeschoßige Raum ist mit den Resonanzkammern, Krümmungen, Schrägstellungen ein akustisches Meisterwerk. Die Ornamente der Holzabdeckung erinnern an jene eines Hackbretts, dahinter kann vielfältig fein-eingestellt, erforscht und wie bei einem Instrument gestimmt werden. Zwei raumhohe Tore schalten, wenn sie aufgeschoben werden, auch den bergseitigen Flügel dem Hauptraum zu und die Natur fließt mit ihrer Lichtstimmung ins Innere. Dazu hat sich auch Wu Tsang entschieden, doch der Cellist, die Sängerin, der Gitarrist, die Soundkünstlerin sind recht beliebig weitverstreut. Aus dem sakral anmutenden engen, stark gerundeten „Hallraum“ erscheint der Klarinettist, nicht sichtbar aber hörbar (?) ein Klavier. Das Publikum wird konventionell in Stuhlreihen geordnet. Die nur etwas über hundert Gäste – von den vier Kunsthäusern über Tombola eingeladen – waren merklich beeindruckt, was durch Bewegung und Stillstand, Musik und Sprache entstehen kann. Sind jedoch die wenigen Tage ausreichend gewesen, um diesen Ort zu begreifen und die akustischen Wunderkammern auszureizen?

Gelungen ist jedenfalls das Experiment Ephemeres entstehen zu lassen: vergänglich, doch nachhallend, in einem Luftschloss, das erste Mal zum Klingen gebracht – ein Cloud Castle das es so nie wieder gibt. Es wird einen anderen Ort und eine andere Form finden. 

⤇ cloudcastle.art

Cloud Castle am 11.1.2025
„Carmen in den Bergen“, Wu Tsang
im ⤇ Klanghaus Toggenburg

Mehr Texte von Martina Pfeifer Steiner

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