Zurückgewiesen: Der mit dem Zeitgeist tanzt...
„Der mit dem Wolf tanzt“ sei ein erstaunlicher Western, sagte Kevin Costner über den Film, den er 1990 drehte. Der Film erzählt auf lässige Weise von der fast stummen Kommunikation der Weißen mit den edlen Wilden und wird trotz seiner Länge nicht langweilig. Es ist ein ausgesprochener Männerfilm mit dem bereits erwähnten Schauspieler in der Hauptrolle. Anfang dieses Jahres eröffnete der international anerkannte Warschauer Galerist Dawid Radziszewski überraschend seine Dependance in Wien und kuratierte bis dato in seiner Galerie vier Gruppen- und Themenausstellungen, die das inkongruente Verhältnis zwischen dem ehemals „wilden Osten“ und dem Westen jeweils aus einer anderen Perspektive durchspielten.
Mit Hilfe von Erinnerungen, Archiven und neuen, aber auch bereits historischen Arbeiten werden Mikro- und Makrokosmen der Gesellschaft aufgezeigt, um zu verstehen, wie Menschen leben, auch wenn sie weit voneinander entfernt bleiben oder sich aus der Ferne begegnen, welches Wissen sich dabei ansammelt und wie es ausgetauscht werden könnte. Das tägliche Leben, die Vergänglichkeit und das, was uns gerade bewegt, spielen dabei eine zentrale Rolle. Leben ist auch Sterben, so tragisch das klingen mag. In diesem Sinne war die Eröffnungsausstellung Host eine Hommage an die überraschend verstorbene Wiener Galeristin Gabriele Senn, deren Räume Radziszewski im Mai 2024 übernahm. Schon diese erste Ausstellung überzeugte mit der neuen, auf ein Minimum reduzierten Raumgestaltung der Galerie. Ihr hoher Innenraum, der während der HOST-Ausstellung auf den ersten Blick leer wirkte, sollte umso deutlicher die Spuren der Verstorbenen mit adäquaten Kunstwerken einfühlsam unterstreichen. Ich erinnere mich zum Beispiel an die unprätentiöse Arbeit von Jesse Darling, an die Büroordner, die lose auf dem Galerieboden lagen, weil das Regal entfernt worden war. In der zweiten Ausstellung, Birds and Flowers, ging es, trotz des trügerisch idyllischen Titels, weiterhin um die Ambivalenz zwischen Leben und Tod, diesmal bezogen auf die Tatsache zu überleben. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Skulptur von Petrit Halilaj, die auf die ikonische Arbeit von Gonzales-Torres mit angehäuften Bonbons anspielte, aber aus cremeweißen Vogelfedern bestand. Obwohl die ausgestellten Werke mit traditionellen Mitteln und Methoden hergestellt wurden, war die wesentliche ikonografische Veränderung gegenüber der sozialen und technoiden Realität, die sie widerspiegelten, offensichtlich. In der dritten Präsentation, The Work of Hands, spielten die beinahe „realistischen“ 3D-Fotografien der international erfolgreichen Fotografin Joanna Piotrowska eine Schlüsselrolle.
In der aktuellen Ausstellung Zurückgewiesen mit den drei Künstler*innen Wojciech Bakowski (*1979), Tatjana Danneberg (*1991) und Nancy Lupo (*1983) rückt die Inszenierung der Werke noch einen Schritt direkter vor die Besucher*innen als bisher, zieht sie sogar körperlich und performativ in ihr Fantasiespiel hinein und zwingt sie, sich immer wieder auf sich selbst zuzubewegen. Der deutsche Ausstellungstitel klingt unangenehm und erinnert an aktuelle politische und kulturelle Diskurse. Legitime Subjektivität und „authentische“ Emotionalität scheinen, wie so oft in den bodengebundenen Arbeiten der Amerikanerin Nancy Lupo, in ihrer vielförmig choreografierten Installation Princessletthewind im ersten Galerieraum und darüber hinaus einen arglosen Ausdruck zu finden. Es ist nicht leicht, dieses zerfledderte Werk aus weit verstreuten Papierfetzen (ungeschriebenen Briefen?), Zigarren, Resten eines Hochzeitskleides und anderen zufälligen, persönlichen und kulturell aufgeladenen Utensilien genau zu beschreiben, aber Wohlfühlambiente ist es auf keinen Fall. Die hier skizzierte künstlerische Situation korrespondiert mit der zweiten Bedeutung von „zurückgewiesen“, nämlich in der persönlichen Beziehung und meint die Ablehnung eines Menschen, der eine Beziehung eingehen möchte. In Lupos indiskreten psychologischen Landschaften tauchen immer wieder Spiralen auf, die sich um sich selbst stets drehen - für die Künstlerin ein Symbol für die Ausweglosigkeit und den Schwebezustand der Gegenwart. Eine Spirale dreht sich bei ihr oft wie in einem improvisierten Tanz zwischen Tragik und Komik. Zwischen Fotografie und Malerei schwelgen dagegen die aussortierten Images auf den Leinwänden von Tatjana Danneberg, die sich nahtlos in Lupos Szenario einfügen. Dannebergs Motive sind diesmal gedruckte Informationsmedien wie Bücher oder Lifestyle-Magazine: gelesen und ungelesen, aufgeschlagen oder wie weggeworfen. „Der Kenner gibt dem Maler nur schlechte Ratschläge“ - heißt eines ihrer ausgestellten Bilder. Etwas mehr Farbe, ein Podest mit Video und Beatbox-Soundtrack bringen Abwechslung in die farblich zurückhaltenden Welten der beiden Künstlerinnen. Gemeint sind damit die Werke des Künstlers, Dichters und Musikers Wojciech Bakowski, dessen Klanginstallation Jasna Przyszlosc (Eine Vielversprechende Zukunft) mit poetischen Kommentaren vor kurzem die Eröffnung des Museums für Moderne Kunst in Warschau begleitete. Gemäßigt prophetisch wirkt Bakowski, wenn er von seiner Kindheit und ihren Rätseln erzählt. Doch sowohl seine spielerisch-spooky Animation (ohne Kamera) aus dem Jahr 2006 als auch sein mysteriöses Wandobjekt Sunset Behind the Table and Jacobs Ladder (2024), das mit den malerischen Details um Aufmerksamkeit und Entschlüsselung wirbt, sind durch und durch melancholisch und voller romantischer Sehnsucht. Die Bedeutungsverschiebungen lösen in beiden Werken zugleich eine Trauersymbolik aus und verleihen dem Ensemble ein Hauch elegischer Atmosphäre. Möglicherweise handelt es sich bei dem Objekt aus Pappkarton um die Darstellung einer traumatischen Erfahrung, und man fühlt sich wie in einem Traum, der sich nicht "zurückweisen" lässt, weil man schon in den nächsten Raum eintritt. Es ist durchaus erfreulich, dass zu den interessanten Themen der einzelnen Präsentationen die eindringlichen Reflexionen aus dem Osten direkt in das westliche, alt-neue Ambiente kamen. Zudem zeichnete sich die Dramaturgie des Gesamtskonzepts der vier Ausstellungen durch eine für Wiener Verhältnisse ausgesprochen singuläre Gestaltung aus. Sie äußerte sich weder in großer Lautstärke noch in einer gefälligen Form - und ist doch bemerkenswert.
05.12.2024 - 08.02.2025
Galeria Dawid Radziszewski
1040 Wien, Schleifmühlgasse 1A
Tel: +48603899242
Email: gallery@dawidradziszewski.com
https://dawidradziszewski.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 11-18, Sa 11-16 h