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Brief aus Bukarest

Fünf Tage in Bukarest verbringen und dabei drei volle Tage im ehemaligen „Volkspalast“ Nicolae Ceaușescus, dem heutigen House of Parliament, zu sitzen, klingt ein bisschen nach einer Selbstkasteiung. Doch war der Besuch des diesjährigen AICA-Kongresses eine freiwillige Entscheidung; die jährlichen Hauptversammlungen der Internationalen Kunstkritiker:innen-Vereinigung (⤇ aicainternational.news) finden jedes Jahr an einem anderen Ort statt. 2024 waren die rumänischen Kolleg:innen für die Organisation verantwortlich und sie entschieden sich für die Abhaltung des Kongresses im Nationalen Museum für zeitgenössische Kunst, einer Institution, die sich seit 2004 in diesem gigantischen Bau befindet und seit einigen Jahren von Călin Dan, Künstler des post-media-Duos subREAL, geführt wird. Man merkt dem Museum an, dass ein konzeptuell denkender Kopf seine Leitung innehat. Dan begreift seine Arbeit auch als einen Exorzismus am Gebäude, das heisst, dass Ceaușescus „Volkspalast“ – übrigens von der damals ganz jungen Architektin Anca Petrescu entworfen – mit seinen über 5000 Räumen, Galerien, Sälen und den nicht mehr zu bewältigenden Dimensionen durch die Präsenz von zeitgenössischer Kunst von der gewaltbelasteten Vergangenheit befreit wird. Zunächst aber fordert der Besuch des Museums, das über einen rückwärtigen Eingang erreichbar ist einiges an Beinkraft. Denn der Gebäudekomplex wird weiträumig von einer Mauer umschlossen, die fürs Volk nicht zugänglich ist, so dass man mindestens 30 Minuten hier entlang geht, bis das entsprechende Eingangstor erreicht ist. Die Räumlichkeiten sind durch die immensen Dimensionen überaus großzügig konzipiert und die Aussichtsterrasse des Besuchercafés in der 4. Etage bietet eine spektakuläre Sicht an der Rückseite des Gebäudes über eine verwilderte Grünzone mit der Langzeitbaustelle der bombastischen National-Kathedrale. An dieser Kirche für 5000 Gläubige wird seit fünfzehn Jahren gebaut, sie soll einmal die zweitgrößte orthodoxe Kathedrale der Welt werden. Aber zurück ins Museum für zeitgenössische Kunst. Eine der aktuellen Ausstellungen widmet sich dem „Twist“ als einem symbolischen und kulturellen Yin-Yang-Moment, das zwischen materieller und spiritueller Welt vermittelt: rurale Geräte und Objekte mit Spiralen, Textilien dekoriert mit Mäander-Mustern, aber auch eine historische Pfeffermühle oder ein Traktor aus der kommunistischen Zeit treten hier in Dialog mit zeitgenössischer Kunst, darunter Werke von Geta Brătescu oder ein Mosaik eines Arbeiters von Șerban Savu, der zusammen mit dem Atelier Brenda Vertreter des Rumänischen Pavillons an der diesjährigen Venedig-Biennale war.

Um in der knappen kongressfreien Zeit noch etwas anderes von der rumänischen Hauptstadt als den monströsen Architekturtraum des gefallenen Diktators zu sehen, blieb kaum die Zeit. Für einen Galerienbesuch in der Galateca-Galerie reichte es gerade; sie ist mit ihrem multidisziplinären Ausstellungsprogramm eine wichtige Adresse in der Kunstszene Bukarests. Und schließlich war ich glücklich, dem Tipp der holländischen AICA-Präsidentin Joke de Wolf zu folgen, und einen Vormittag in der beeindruckenden Kunstsammlung des Nationalmuseums zu verbringen, wo ich mir die alten Cranachs, Breughels oder El Grecos anschaute. Inspiriert von Katy Hessels Bestseller „The History of Art without Men“ hielt ich Ausschau nach entsprechenden Künstlerinnen – und hier sah es leider nicht so fabelhaft aus. Aber immerhin, das grossartige Porträt der französischen Malerin Marie-Victoire Lemoine (ca. Ende des 18. Jahrhunderts), das eine junge höfische Dame mit entblösster Brust und Schosshündchen zeigt, entschädigte etwas für diesen Mangel.

Verträumte Parks, Spitzen-Restaurants, aber auch ein paar fiese abzockende Taxifahrer – dies sind die weiteren durchaus gemischten Erfahrungen in einer regionalen Metropole, die am Sprung ist, zu einer Weltstadt zu werden.

Die Museen:
⤇ www.mnac.ro
⤇ mnar.ro

Mehr Texte von Patricia Grzonka

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