
Der Kunstsachverständige von Bernd F. Holasek
Im Rahmen der von einer Gruppe von Universitätsprofessor:innen aus Deutschland, Schweiz und Österreich herausgegebenen Schriftenreihe zum Kunst- und Kulturrecht legt der Herausgeber Bernd F. Holasek ein hervorragendes Werk über die Methoden der Begutachtung, das Sachverständigenrecht und die Kunstökonomie vor.
Der Herausgeber ist beeideter Gerichtssachverständiger in Graz und tief in der dortigen Kunstszene verankert, seine Schwester eine bekannte ausübende Künstlerin. Das Opus wird erweitert durch die Mitarbeit von Expert:innen, insbesondere aus dem Denkmalschutz, von Universitätsprofessor:innen und nach meinem Dafürhalten vor allem durch die bedeutende Mitarbeit des Sachverständigen und Auktionators Otto Hans Ressler.
Die vorliegende Auseinandersetzung mit komplexen Fragen um Kunst und deren Bewertung durch Sachverständige ist sowohl für die Kunstwelt als auch für die juristischen Professionen von Bedeutung. Hier greifen allgemeine Fragen um die Wertermittlung, sich daraus ergebende Ansprüche und deren vorprozessuale oder gerichtliche Durchsetzung mit kunstspezifischen Aspekten ineinander. Die eingehende Analyse der einzelnen Themenbereiche ist damit für den gesamten Bereich von Bedeutung, denn die allgemeinen Grundsätze sind ja für die Expert:innen – Amtssachverständige, in die Gerichtslisten eingetragen oder ad hoc bestellt – dieselben. Nichts anderes gilt für die Juristinnen und Juristen, egal welcher Herkunft, die sich in ihrer Profession mit rechtlichen Fragen rund um Kunstwerke auseinanderzusetzen haben – oder einfach nur daran interessiert sind.
Der mir ebenso wie einige im Werk genannte Künstler:innen persönlich bekannte Herausgeber kann eine jahrzehntelange Praxis an der Schnittstelle dieser Bereiche vorweisen, wie ich als in einige Verfahren involvierter Rechtsbeistand und am Kunstgeschehen intensiv teilnehmender Laie aus eigener Erfahrung bestätigen kann.
Meine Leidenschaft für die Kunst erlaubt es mir allerdings nicht, mich mit allen kunsthistorischen Aspekten des Bandes eingehend zu befassen. Der entsprechende Abschnitt des Werkes behandelt nämlich naturwissenschaftlich-technische Untersuchungsmöglichkeiten als Hilfsmittel der Kunstbewertung, wie z.B. mittels optischer Methoden oder Infrarotstrahlung zur Betrachtung von Kunstwerken oder zentrale kunsthistorische Anhaltspunkte für Zu- und Abschreibungen und daran anknüpfende Bewertungskriterien. Dass sich die Autor:innen damit im Detail auseinandergesetzt haben und die Ausführungen eine Fundgrube für jegliche benötigte Fachexpertise sind, ist allerdings auch für den bloßen Juristen klar erkennbar.
Im Übrigen handelt es sich um ein Nachschlagwerk, weil einige bedeutende Expert:innen unter den Sachverständigen vom Herausgeber eingeladen wurden, ihre Kenntnisse des jeweiligen Themas zusammenzufassen; dass sich dabei Überschneidungen ergeben, ist diesem Ansatz immanent. Auch hier gilt, dass der kunsthistorische Aspekt und die Perspektive der Sachverständigen die Aufbereitung des jeweiligen Themas überwiegen, der Rezensent also einmal mehr dem Kunstsachverstand vertrauen muss.
Ein weiterer, dem Rezensenten schon näherer Schwerpunkt des Werkes liegt in den rechtlichen Aspekten eines Gutachtens von der Problemstellung und dem Ziel der Expertise über die mitunter komplexe Untersuchung bis hin zum Aufbau der Begründung samt der rechtswissenschaftlichen Begrenzung des Kunstgutachtens.
Kunst ist ein Geschehen der Wahrheit, sie politisiert und wird politisiert und sieht sich vielfach schärfsten Repressionen ausgesetzt. Ich erinnere an Martin Heidegger und seine Abhandlung „Der Ursprung des Kunstwerkes“, in der er Kunst aus sich heraus erklärt und ihre wahrheitsstiftende Funktion hervorhebt. Ungefähr zur selben Zeit schrieb Walter Benjamin „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ über den Wandel der Kunst und ihrer Rezeption durch neue Medien und Formate und die dadurch steigende Gefahr einer politischen Vereinnahmung. Derartige Verbindungen sind aktueller denn je und bilden die Grundlage jedes Kunstverständnisses, auch wenn sie im Werk nur peripher behandelt werden.
Kunst beginnt dort, wo Geschmack aufhört. Ihre Wahrnehmung ist einem steten Wandel unterworfen, denn jede Generation schafft durch eine geänderte Bildsprache ein neues Weltbild. Oft besteht die neue Form in der emotionalen Aufladung eines traditionellen Formenvokabulars. Im 20. Jahrhundert löste sich die Form auf, was konsequenterweise zum Verschwinden der Kunst führen müsste, wie das Joseph Beuys mit seiner Umwandlung von Kunst in eine soziale Plastik vollzogen hat. Dabei ist Kunst dem Menschen nicht als solche, sondern als genuiner Gestaltungswille in die Wiege gelegt.
Diese anthropologische Konstante unterscheidet die Bewertung von Kunstwerken von anderen Bereichen, macht sie komplexer, damit aber auch angreifbarer. Haftungsfragen treten dadurch in den Vordergrund, gerade bei öffentlichkeitswirksamen Prozessen. Holasek befasst sich im Werk mit der medialen Außenwirkung von Fehlbewertungen, dabei ergeben sich aber auch zahlreiche Rechtsfragen, wie allein die differenzierte Judikatur zur Haftungsnorm des § 1300 ABGB belegt.
Beim Kunstsachverständigen gilt es, wie bei allen Gutachtern, sogenannte Gefälligkeitsgutachten strengstens zu vermeiden. Erschwerend tritt dazu das Erfordernis der Ausschaltung individueller Vorlieben hinzu, denn dies begründet mitunter eine Befangenheit. Durch ein Gutachten eines bzw. einer zertifizierten Sachverständigen wird in der Regel der Wert des Kunstwerks gesteigert, weshalb schon zur Hintanhaltung einer Haftung eine möglichst unbefangene Herangehensweise unverzichtbar ist.
In der Praxis ist festzuhalten, dass mit der strengen Unterscheidung von Befund, der Darlegung der von Sachverständigen erhobenen Tatsachen, und Gutachten ieS, also die gezogenen Schlussfolgerungen, lediglich der äußere Aufbau eines Gutachtens festgelegt ist. Gutachtensstandards im Sinn von Normen für die inhaltliche Abfassung eines Gutachtens gibt es hingegen nicht. Gutachter:innen haben daher auf eine eindeutige Formulierung des Auftrags und der zu klärenden Fragen zu dringen und sind gut beraten, bei der vorangehenden Befundaufnahme transparent und nachvollziehbar vorzugehen und bspw. den Parteien und ihren Vertreter:innen Gelegenheit zu geben, an der Erhebung der wesentlichen Tatsachen mitzuwirken, oder sie aufzufordern, Fehlendes nachzutragen. Gerade Kunstexpertisen haben, wie im Werk eingehend aufbereitet wird, eine nicht zu unterschätzende ökonomische Bedeutung, die die strengen Anforderungen an eine Zulassung als Gerichtssachverständige rechtfertigen. Die Expertise ist dabei nicht auf die eigenen Spezialgebiete beschränkt, sondern muss auch Phänomene wie den alternativen oder den internationalen Markt erfassen, gerade weil es dabei oft eklatante Unterschiede gibt.
Eine spezielle Problematik ergibt sich in der Provenienzforschung, die Holasek mit prominenten Beispielen für zeitgenössische kriminelle Vorgänge erläutert, wie den Diebstahl der Mona Lisa aus dem Louvre 1911 oder von Monet, Picasso und Matisse aus anderen Museen. Historisch besonders relevant ist dies im Rahmen des Umgangs mit Raub- und Beutekunst infolge der Entwendung von bedeutenden Kunstwerken aus jüdischem Besitz zwischen 1933 und 1945 in Deutschland, Österreich und weiteren von Hitler annektierten Gebieten. Zu erinnern ist dabei, dass der erste systematisch betriebene Beutezug Napoleon zuzurechnen ist. Dass im Werk aber nicht näher auf die bis heute fortdauernde Problematik der Restitution eingegangen wird, ist zu bedauern. Wertvoll für die österreichischen Leser:innen ist hingegen der Exkurs zur nationalen Rechtslage.
Der Exkurs von Ressler erweist sich als besonders praxisnahe. Er fordert eine konzeptionelle Struktur für den Aufbau eines Bewertungsgutachtens im Bereich der bildenden Kunst und erinnert daran, dass eine attraktive Künstlerpersönlichkeit eben mit Ecken und Kanten versehen ist. Es schadet daher nicht, wenn sich Vincent van Gogh ein Ohr abschnitt, Egon Schiele im Gefängnis saß, Maria Lassnig schrullig war, Friedensreich Hundertwasser gerade Linien verteufelte oder sich Banksy noch immer in Anonymität verbirgt. Den künstlerischen Genius tragen alle in sich, Giotto war ein Schafhirte, Michelangelo zeigte nicht auf einen Buchstaben, sondern fertigte ihn sofort an, Cavaraggio war ein Mörder, und Picassos erste Worte waren nicht Mama, sondern Piz, womit er einen Bleistift meinte. Der gesamte Kunstbetrieb lebt ja auch von der Persönlichkeit der Künstlerin oder des Künstlers, sei sie problematisch oder nicht.
Zum Aufbau schlägt Ressler mehrere Elemente vor: Erstens die Idee zu einer Gutachtensgestaltung, die den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, nämlich mit einer Definition der Aufgabenstellung, dem Zweck und den Absichten von Auftraggeber:in, der Beschreibung und dem Wert des Objekts und dem möglichen Spannungsfeld zwischen Gutachter:in und Auftraggeber:in, zweitens die Notwendigkeit der zeitlichen Gültigkeit des Gutachtens für den Moment, also bei sich nicht ändernden äußeren Umständen, drittens die grundsätzliche Bedeutung eines Gutachtens für die Auftraggebenden, also Vererbung, Schenkung, Veräußerung etc, viertens die Transparenz in der Methodik, fünftens die Kunstbewertung an sich und sechstens die Arbeit der Sachverständigen im Spannungsfeld mehrerer Interessensgebiete unter kunsthistorischen, rechtlichen, ökonomischen und finanziellen Perspektiven.
Auch Einzelaspekte werden näher betrachtet, so kann z.B. eine genaue Beurteilung einer Restaurierung erst nach deren erfolgreichen Durchführung vorgenommen werden, wobei eine gelungene eine Aufwertung des Werks bewirkt und eine nicht gelungene oft eine ebenfalls zu bewertende Wertminderung notwendig macht. Der Kunstmarkt ist auch kein einheitlicher, er unterteilt sich in spezielle Sammlergruppen oder es kann zu einem Überangebot eines Werks kommen. Daher müssen Gutachter:innen einen Bewertungsbogen spannen, insbesondere wenn auch internationale Märkte eine Rolle spielen. Interessant sind die zusätzlichen Möglichkeiten, die sich durch das Internet ergeben, denn allein die Ermittlung des Verkehrswerts als wichtigste Aufgabe von Gutachter:innen ist ja von den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und dem Faktor Zeit abhängig. All dieses wird anhand illustrativer Beispiele nachvollziehbar gemacht; dabei wird auch das in der Kunst immer mehr Einzug haltende Marketing, das innerhalb kürzester Zeit zu einem Hype oder einem Flop führen kann, kritisch hinterfragt.
Bemerkenswert ist die umfassende Bibliografie, die zur vertiefenden Auseinandersetzung mit einzelnen Fragestellungen einlädt.
Der Herausgeber äußert am Schluss seines Werks die Hoffnung, dass die wissenschaftsgeleitete und praxisnahe Analyse der Erstellung von Kunstgutachten zum Abbau von Spannungen bei dieser hochkomplexen Tätigkeit führen könnte. Diesem rationalen und letztlich eminent aufklärerischen Anspruch wird der Band sowohl aus Sicht der Kunstwelt als auch aus der Perspektive von Jurist:innen vollends gerecht.