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Eine Tube Mut bitte!

Johanna Kandl ist seit vielen Jahren eine Chronistin gesellschaftlicher Zustände und das gerne an Orten, an denen die wirtschaftliche Situation der Bewohner:innen mehr oder weniger direkt mit dem westlichen Wirtschaftssystem und seinem latenten Kolonialismus zu tun hat. Gemeinsam mit ihrem Partner Helmut Kandl reiste sie an Orte in Osteuropa jenseits der touristischen Hotspots, forschte in Afrika nach den Grundstoffen der Malerei und deren Produktionsbedingungen. Ihre Erfahrungen verpackten sie in Videos und vor allem Malerei, die oftmals Szenen mit Menschen zeigt, die ihren alltäglichen Verrichtungen nachgehen um ihr Leben zu finanzieren, seien es Arbeiter:innen in Afrika, Straßenhändler:innen in Venedig oder Marktstandler:innen. Ebendiese Orte an denen die Reisenden auf ihren Fahrten vorbeikamen, finden sich immer wieder auf den Leinwänden. Gemeinsam ist diesen, dass sie ihre besseren Tage schon hinter sich haben – oder vor sich, je nach Lesart. Gerne verknüpft sind mit den Darstellungen hinzugemalte Textnachrichten, die der Coaching-Literatur von Manager:innen oder Selbstoptimierungsbüchern entstammen. Die Liste der Kosten für eine Arbeitsstunde ausgewählter Länder trifft da schon mal auf die Szenerie eines Hinterhof-Marktes.

Für die jährliche Verhüllung seines Wahrzeichens, den Ringturm am Wiener Schottenring, hat der Wiener Städtische Versicherungsverein Johanna Kandl gebeten, sich in aller Freiheit Gedanken zur aktuellen Zeit und zum 200-jährigen Gründungsjubiläum der Versicherung zu machen. Herausgekommen ist dabei ein auf den ersten Blick recht zurückhaltendes Kunstwerk. Dosen, Tuben, und Gläser mit Schraubverschluss hat Johanna Kandl auf die 4.000 Quadratmeter große Bildfläche gesetzt, die eine Kritik an der überbordenden und Ressourcen fressenden Konsumkultur der westlichen Hemisphäre darstellen könnten. Doch dazu fehlt ein zentrales Element des Marketings: die Logos. Die stattdessen auf den Behältnissen aufgedruckten Schriftzüge, benennen schlicht den nach dem Öffnen zu erwartenden Inhalt. „Curaj“ prangt da auf einem Tiegel, das rumänische Wort für Mut, oder „Zajedno“, das auf Kroatisch so viel wie gemeinsam bedeutet.

Angesichts der multiplen Krisen, und Unsicherheiten mit denen wir aktuell konfrontiert sind, wollte sie mit ihrer Ringturmverhüllung ein „Mutbild“ schaffen, das auch für die vielen mehrsprachigen Bewohner:innen Wiens lesbar ist und diesen zur Identifikation dienen soll, so Johanna Kandl im Interview. Ein wenig greift sie mit dem Sujet auch auf ihre Kindheitserinnerung an die Farbenhandlung zurück, die ihre Eltern in Floridsdorf betrieben. Die Begriffs-Greißlerei, die Johanna Kandl am Schottenring eröffnet hat, ist deutlich weniger konfrontativ als manche Ringturmverhüllungen in der Vergangenheit. Die Lesbarkeit und einfache Zugänglichkeit künstlerischer Aussagen, gerichtet an ein multikulturelles Publikum ist eine Qualität, um die sich nicht zuletzt auch die vielen Kunstinstitutionen der Stadt bemühen. Und nachdem der öffentliche Diskurs über viele wichtige gesellschaftliche Themen zu großen Teilen aus Fake News und Hate Speech besteht, kann eine große Flasche „Keine Angst“ schon auch gut tun.

⤇ Mehr zu den Ringturmverhüllungen

Mehr Texte von Werner Remm

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