Aleksandra Domanović: Auf den zweiten Blick
Eine der beiden ersten Ausstellungen, die Anfang September in der Ära der neuen künstlerischen Leiterin Michelle Cotton in der Kunsthalle Wien eröffnete, ist die Personale zur serbischen Künstlerin Aleksandra Domanović. Geboren 1981 in Novi Sad, aufgewachsen in Slowenien und für das Grafikdesign-Studium an die Universität für angewandte Kunst nach Wien gekommen, ist dies die erste Einzelausstellung der Künstlerin in Wien.
Domanovićs gesellschafts- und zeitkritisches Œuvre ist sowohl inhaltlich als auch medial von Diversität und Vielschichtigkeit geprägt. So reichen ihre Arbeiten von Bildern, Videos, Skulpturen, raumgreifenden Werken bis hin zu Installationen, von denen die Ausstellung einen guten Überblick ihres Schaffens von 2008 bis in die Gegenwart zeigt.
Den Beginn der Schau im ersten Obergeschoß markiert die dreiteilige Arbeit „Open Man, 2016“, die in ihrer Spontaneität und Momenthaftigkeit im Widerspruch zum statischen Schaft und der rollenden Basis der Skulptur zu stehen scheint, jedoch in ihrer Ironie an die One Minute Sculptures von Erwin Wurm erinnert. Die zur Serie der „Votives“ (2016-2018) zählenden „Basketballspieler“ finden ihre weiteren „Seriengenossen“, darunter das monomental-skulpturale Abbild eines genetisch modifizierten Kalbs sowie vier 1963 in Belgrad produzierte robotische Handprothesen des Wissenschaftlers Rajko Tomović, wie man durch den Ausstellungsbegleittext erfährt, verteilt durch den großräumigen Saal der Kunsthalle.
Ins Stocken gerät man durch die beeindruckenden an Akustikpaneele erinnernden skulpturalen Reliefs „If These Walls Could Talk, 2024“, bei denen man spätestens jetzt den Ausstellungsbegleittext ersehnt. Denn diese Arbeit reflektiert nicht nur die Entwicklung der medizinischen Bildgebung in Hinblick auf die Pränataldiagnostik, sondern stellt gleichzeitig die Geschlechterbestimmung und Rechte der Frauen in Bezug auf Abtreibung in Frage. Einen Kontext, den man ohne Domanovićs Œuvre zu kennen, wohl nur schwer eruieren hätte können. Ebenso erstaunt findet man sich eventuell vor der Wandarbeit „The Future Was At Her Fingertips (timeline), 2024“ wieder, die in ihrer Ästhetik einem Ausstellungswandtext gleicht und eine chronologische Abfolge zusammenhangloser Informationen aus den Themenbereichen der Informatik, der Science-Fiction sowie der Frauenrechte abbildet. Beim stilisierten Porträt Titos mit dem Titel „Portrait (mesing), 2012“ erfreut man sich eines kurzen Lichtblicks, dass zumindest eine von Domanovićs Arbeiten weniger Fragen als Antworten aufwirft. Auch die raumfüllende Installation „Things to Come, 2014“, in der verschiedene stilisierte Charaktere aus Science-Fiction- und Anime-Filmen lebens- bzw. überlebensgroß auf einer Art Kunststoffvorhang abgebildet sind, zeigt keinen auf den ersten Blick erkennbaren Kontext. Inhaltlich scheint sich diese Arbeit in die Thematik des in einer Raumecke hängenden gerahmten „Disney Letter, 2014“ einzureihen. Mit diesem kritisiert Domanović die männliche Vorherrschaft in der Geschichte der Zeichentrick- und Animationsfilme.
Spätestens bei der Arbeit „Mirka’s Coffee Manual, 2020“, einer von Domanovićs Mutter zusammengestellten Anleitung zur Kaffeezubereitung, gerät man wieder in den Zustand des Rätselratens. Ebenso mysteriös wirken die von der Decke hängenden „Worldometers, 2021“, die an Wladimir Tatlins Konterreliefs aus dem frühen 20. Jahrhundert erinnern, jedoch inhaltlich wie auch ästhetisch (es handelt sich um LED-Ventilatoren) wiederum die Wissenschaft und bildgebende Diagnostik kritisieren. Ein wichtiger Hinweis, der sich erneut im wertvollen Ausstellungsbegleittext findet. Empfehlenswert sind der Videoraum mit der Arbeit „From yu to me, 2013“ im Obergeschoß sowie die Videoinstallation „Turbo Sculpture, 2009/2024“ im Untergeschoß, die das Phänomen der Prominentendenkmäler in Ex-Jugoslawien auf erfrischende und witzige Art und Weise dokumentiert.
Für an Domanovićs Œuvre interessierte Kunstliebhaber:innen verschafft die Ausstellung, die noch bis zum 26. Jänner in der Kunsthalle Wien zu sehen ist, einen guten Überblick.
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Eventtipp:
Am 24. Jänner um 18 Uhr präsentiert die Kunsthalle Wien die erste monografische Publikation zum Werk der Künstlerin im Rahmen eines Künstlerinnengesprächs zwischen Aleksandra Domanović und Michelle Cotton.
Die Publikation ist für ⤇ € 38 im Shop der Kunsthalle Wien erhältlich.

05.09.2024 - 26.01.2025
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