Gregory Crewdson - Retrospektive: Empathie und Distanz
Der 1962 geborene US-Amerikaner Gregory Crewdson zählt seit vielen Jahren zu den bekanntesten Fotografen. Mit seinen Werken ist er in den Sammlungen von vielen großen Museen weltweit vertreten. Seit diesem Jahr darf die Albertina das (jedenfalls in Europa) größte Konvolut seiner mystischen Fotografien ihr Eigen nennen und zeigt dieses im Rahmen einer großen Retrospektive.
Crewdsons aufwendig inszenierte Szenen spielen meist in US-amerikanischen Kleinstädten. Wie aus der Zeit gefallene Filmstills scheinen die Fotos das Leben der einfachen Menschen abzubilden, die fernab der Verwirklichung des amerikanischen Traums ihr Dasein zu meistern haben. Es sind teils recht intime Szenen aus Wohn- und Esszimmern, den Vorgärten und auf den Straßen und sie erzählen meist von Einsamkeit, Sehnsucht und einer ungewissen Zukunft. Die Personen in Crewdsons Fotografien nehmen offensichtlich nicht wirklich Teil am Leben um sie herum, es entstehen keine Beziehungen zwischen ihnen, denn sie handeln nicht. Eine unerklärliche Passivität umfängt das spärlich im Bildraum verteilte Personal. Sie existieren völlig unabhängig von den weiteren Bildelementen, die Gregory Crewdson ausgesprochen detailverliebt in seine Settings einbaut. Einzig in der Fotografie eines Jungen aus der Serie Twilight (1998-2002) zeigt sich eine gewisse Initiative, indem dieser seinen Arm durch den ausgebauten Abfluss der Dusche steckt um etwas Darunterliegendes ans Licht zu holen. Für Crewdson, Sohn eines Psychiaters, ist diese Arbeit über die Jahre in gewisser Weise zu einem Selbstporträt geworden.
Mag sein, dass in einem Amerika, in dem ein Donald Trump reale Chancen auf die Wiederwahl als Präsident hat, das völlige Fehlen jeglichen Anzeichens von Empathie zur unheimlichen Realität geworden ist. Diese Empathielosigkeit bewirkt eine zunehmende Distanziertheit der Betrachter:innen den Arbeiten gegenüber, beim Gang durch die Ausstellung. Die bleierne Schwere der Inszenierungen, die sich über die Jahre und Serien von frühen Arbeiten der 1980er Jahre über „Twilight“, „Cathedral of the Pines“ (2013-2014) bis hin zu „An Eclipse of Moths“ (2018-2019) nicht hebt, lässt kaum die Entwicklung von Emotionen zu. Spätestens seit den 2000er Jahren wohnt Crewdsons Arrangements eine Perfektion inne, die spürbar nur mit großen, von Crewdson dirigierten Teams und intensiver Postproduktion erreichbar ist. Es ist leicht, sich von diesen Fotografien beeindrucken zu lassen, jedoch schwer, von ihnen berührt zu werden.
29.05 - 08.09.2024
Albertina
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