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Kindchenschema

Drei Engel schweben am oberen Bildrand und bilden ein himmlisches Echo, während Putti das Geschehen in einer Wolke aus warm leuchtendem Dunst segnen. Das Gemälde von Bartolomé Esteban Murillo zeigt das Jesuskind, das seinem Cousin, dem Propheten Johannes der Täufer, in einer Muschel Wasser reicht. Murillo war im späten 17. Jahrhundert der führende Maler in Sevilla. 1642, im Alter von 26 Jahren, zog er nach Madrid, wo er auf Velázquez traf und in den königlichen Sammlungen die Werke der venezianischen und flämischen Malerei kennenlernte. Später wurde er zu einer der prägenden Figuren der bildlich getriebenen Gegenreformation, die in Spanien – vielleicht auch dank seiner lieblich-folkloristischen Sujets – wirksamer war. Im 19. Jahrhundert hieß es, Murillo gehört der Himmel, Veláquez die Erde. Und doch war vieles an Murillos Malerei lebensnah. Typisch ist eine volksnahe Ikonografie, die er mit einem Kolorit in Sepia, sanften Konturen und etwas Kindchenschema abschmeckt. Jesus ist mit zierlichen Locken dargestellt, er trägt einen pastellfarbenen Lendenschurz. Johannes, mit ähnlicher Frisur und Babyspeck, aber etwas dunkler, bückt sich über die Schale der Muschel und stützt er sich auf den Kreuzstab, auf dem die Banderole mit der Formel der messianischen Ankunft „ECCE AGNUS DEI“ zu lesen steht, wobei das Schaf nicht nur als Metapher, sondern als Lamm dargestellt wird. Die Komposition und das sanftes Licht schaffen eine andächtig süßliche Atmosphäre. Das Bild ist ein Beleg für Murillos Befähigung, religiöse Sujets in gefühlvolle Szenen zu gießen, die die Betrachter*innen emotional ansprechen, so ähnlich wie heutige Werbespots.

 

Vor etwa 16 Jahren wurde eine Fotografie in Spanien aufgenommen, die eine ähnliche Absicht wie Murillos Gemälde verfolgt, auch wenn es hier nicht um die Gegenreformation, aber dennoch um ein katholisch inspiriertes Heilsgeschehen geht. Ein Mann mit langen Haaren hält eine hellblaue Plastikwanne, in der ein Baby sitzt, und wendet sich zärtlich und liebevoll dem Kind zu. Im Gegensatz zum Gemälde von Murillo fehlen hier der Himmel mit Engeln, die Weichzeichnung und die katholische Agenda. Dennoch gibt es Parallelen. Zunächst fällt die Verniedlichung der Heilserwartung auf, da die Kinder als Vermittler des Zeitalters der Gnade herangezogen werden. Die Farbigkeit des Hintergrundes ähnelt dem Schurz des Jesuskindes. Zudem wird der Alltag in der Komposition ausgeblendet, ohne dass Raum oder Ort identifizierbar wären – stattdessen tritt das Pink des Hintergrunds hervor. Die hellblaue Wanne und das Blassrosa des Hintergrunds erzeugen ähnliche Wirkungen wie das Sepia in der Malerei des 17. Jahrhunderts. Zarte, sanfte Gesten vermitteln zwischen ihnen. Zuletzt ließen sich im Badeschaum die Nachfahren des wolligen Lamms erkennen. Die Fotografie wurde nach dem Halbfinale der Fußball-EM im Internet populär, da das von dem jungen Mann gewaschene Baby Lamine Yamal, der neue Superstar am spanischen Fußballhimmel, ist. Lionel Messi, im weißen Sweater, greift schützend mit den Armen in den Bottich ein. Die Waschung durch den damals erst zwanzigjährigen Messi folgt der christlichen Ikonografie kindlicher Segnung. Kleine Details wie die dunkle Stoffapplikation an seinem Kragen deuten darauf hin, dass es sich hier nicht um eine alltägliche Handlung, sondern um die Vorhersage eines zukünftigen Heilsgeschehens handelt. Der gegenwärtige Meister, Lionel Messi, erweist sich in Wahrheit als Prophet, der einem noch Größeren, Lamine Yamal, die Bühne bereitet. Die spirituelle Übertragung auf den siebzehnjährigen Ballkünstler und Muslim ist vollzogen. Yamal wurde mit Spanien Europameister und besiegte im Finale souverän die protestantischen Engländer. Noch dazu wurde er zum besten Jungspieler des Turniers gewählt. Lionel Messi gewann mit Argentinien am gleichen Tag in Miami die Copa America, musste jedoch in der 66. Minute verletzt vom Feld. Es war vermutlich Messis letztes Endspiel.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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