Shape Of Things To Come. Again.: Vom Ende der Utopien
Der Titel der aktuellen Ausstellung bei lotsremark in Basel spielt auf die gleichnamige Zukunftsvision von H.G. Wells aus dem Jahre 1933 an. Durch die einfache Hinzufügung des Wortes „Again“ werde ein Übergang von einer Utopie zu einer Dystopie denkbar, wie es im Begleittext der Ausstellung heißt. Diesem Kipppunkt geht die Ausstellung in einer konzisen Hängung nach. Im kleinen Ladenlokal in der Basler Klybeckstraße 170 verstehen es Janine Stoll und Harald Kraemer seit nun über zehn Jahren präzise Setzungen zu machen, die nicht zuletzt auch zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Formats Ausstellung als diskursive Praxis anregen. lotsremark, der Name des Raumes, lässt sich sowohl als Appell an die Besucher:innen verstehen als auch als kuratorisches Prinzip. Der Raum funktioniert als Schaukasten, Wandzeitung, Bühne und Treffpunkt. Die Ausstellungen hinterfragen Konventionen, vermitteln anregende Ideen und regen zum Austausch an.
In der aktuellen Präsentation “Shape of things to come. Again.“ sind einzelne Werke von Marcel Broodthaers, Ian Hamilton Finlay, Robert Lettner und Herbert Starek in Dialog und Konfrontation mit sechs Arbeiten der legendären ‘Water Board’-Serie von Jenny Holzer aus dem Jahr 2012 gegenübergestellt. In dieser nicht bedruckten, sondern aus unterschiedlichen Schöpfbütten zusammengefügten Papiermassen bestehenden und vollständigen Reihe, die in der Berliner Werkstatt für Papier von Gangolf Ulbricht produziert und im Verlag der Hamburger Griffelkunst erschienen ist, wurden von der Künstlerin verschiedene geheime Dokumente der CIA verarbeitet. Holzers sechs Arbeiten sind jeweils paarweise oder einzeln den anderen Werken zugeordnet, so dass vier abwechslungsreiche Wände entstanden sind. In dieser Konstellation ergeben sich interessante Vergleichsmomente und Spannungsverhältnisse. Das Medium der Druckgrafik, das durch seine Möglichkeiten der Vervielfältigung und Verbreitung seit den sechziger Jahren gerne als demokratische Kunstform bezeichnet wird, eröffnet hier eine kritische Perspektive auf den aktuellen Zustand demokratischer Gesellschaftssysteme. Die vielsagenden schwarzen Leerstellen in den CIA-Berichten zu den Vorgängen in Guantanamo, die Holzer als sprichwörtliche Black Boxes zur Darstellung bringt, evozieren eine Aufladung mit Bedeutungspotenzial. Ian Hamilton Finlays Blatt ‘The Medium is the Message‘ (1987), welches Marshall McLuhans Bonmot in eine schematisierte Guillotine stellt, bringt Medium und Message der bei Holzer wiedergegeben zensierten Textstellen scharf auf den Punkt. Finlays Hommage an René Magrittes ‘Ceci n‘est pas une pipe‘ (1991) unterhalb der Abbildung einer russischen Maschinenpistole aus dem 2. Weltkrieg verschärft unheilvolle Ahnungen. Medienreflexiv wird hier das Potenzial aufgezeigt, das es Kunst ermöglicht, Dinge, Ideen, Fakten etc. als etwas anderes zu sehen als das, was sie vermeintlich sind. Im Kontext gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzung hingegen ist jedoch gerade dies äußerst fatal. Wenn Facts mit Alternativ Facts und Fake News konterkariert werden, geht meist jede Möglichkeit kritischer Reflexion verloren. Der Kontext ist entscheidend. Doch Ausstellungsräume sind kulturelle Kontextmaschinen. Dies verdeutlichen zwei Arbeiten von Marcel Broodthaers aus dem Jahr 1972, die Jenny Holzer umrahmen. Jeweils 16 Goldbarren auf schwarzem Grund sind unter der Überschrift ‘MUSEUM’ mit verschiedenen Begriffen in einer Taxinomie angeordnet. Während bei dem einen Blatt die Nachnamen bekannter Künstler zu lesen sind, finden sich beim anderen Blatt Begriffe wie Chocolat, Gold, Copper, die auf den Rohstoffhandel hinweisen. Kunstmarkt trifft auf Rohstoffmarkt. Die Begriffe erscheinen in einem kapitalistischen System mal als kulturelles Kapital und symbolische Formen, mal als ökonomische und nicht zuletzt auch koloniale Warenformen. Alles scheint von einer unsichtbaren Hand – des Marktes oder des Diskurses – gelenkt. An der Wand gegenüber zeigt Herbert Stareks grossformatiger Pigmentprint aus dem Jahr 2003 die Silhouette einer dunklen Gestalt. Es ist Fantômas; jener skrupellose und irgendwie geniale Schurke, dessen Untaten im Zeitraum 1911 bis 1913 Frankreich in Form von Kriminalromanen das Fürchten lehrte. Doch auch Fantômas ist das Produkt gesellschaftlicher Imagination. Von Starek vortrefflich ausgewählte 128 Floskeln, die an das Genre von Horror- und Kriminalfilmen erinnern, umgeben und überziehen die Schattenfigur und bieten wiederum Raum für aller Hand imaginierten Schrecken. Das Blumenmuster, welches ihn zudem bedeckt, bietet sich als doppeltes Deutungsmuster an. Es mag zugleich auf die bürgerliche Banalität der assoziierten Schreckensszenarien verweisen und wiederum auf seine Warenform. Fantômas ist jedoch kein Anarchist, sondern scheint heutzutage eher ein Anti-Held der guten Stube. In einer letzten Konstellation mit Holzer finden sich zwei 1995 entstandene Prints von Robert Lettner. Über dem Panorama des denkmalgeschützten Marktplatzes der mährischen Stadt Telč schweben die Worte ‘Das Ende der Utopie‘ und ‘Ende‘. Einst als utopische Vision geplant und heutzutage als Manifestation im Stil der italienischen Architektur der Renaissance nördlich der Alpen erstarrt, stellt sich im Gegenüber mit Holzers Guantanamo Anklage die Frage, inwieweit der Begriff der Freiheit angesichts des Terrors den sogenannte demokratische Staaten ausüben, eigentlich nicht längst obsolet geworden ist. Die Utopie ist längst zu Ende und die Zukünfte von Gestern sind in gegenwärtiger Vergangenheit gefangen. Shape of things to come. Again. And Again.
11.06 - 24.08.2024
lotsremark projekte
4057 Basel, Klybeckstraße 170
Email: info@lotsremark.net
http://www.lotsremark.net/
Öffnungszeiten: Während Art Basel täglich 18:00–20:00, sonst Sa 16-18 h und nach Vereinbarung