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Anne Imhof - Wish You Were Gay: Volle pulle Testosteron

Der Ausstellungstitel „Wish You Were Gay (WYWG)“ ist ambivalent interpretierbar, wie schon der Titel „Faust“ von Anne Imhofs Beitrag im Deutschen Pavillon in Venedig, als Goethes Faust, oder einfach als die gewaltbereite Faust. Dort ließ sie Dobermänner als Reichshunde beim Eingang im Zwinger spielen und dirigierte eine „Zombie-Armee“ unter der Glasdecke als Performance - Installation, wofür sie 2017 mit den Goldenen Löwen der 57. Biennale ausgezeichnet wurde.
Seither hält die deutsche Performance- und Medienkünstlerin der „Vorkriegswelt“* einen Spiegel vor, indem sie Machtstrukturen, Angst, Hoffnungslosigkeit und Faschismus in den besten Museen der Welt eindrucksvoll inszeniert.

So auch am Bodensee, wo Anne Imhof im Kunsthaus Bregenz zwar ohne „Lebend-Performance“, aber mit immersiver Sound-Kulisse, – die Bässe wummern durchs ganze Haus – und gleißend roter Beleuchtung gesellschaftliche Bedrohungsszenarien reflektiert. 
Die raumgreifenden Gitterkonstruktionen erinnern an Sicherheitsschranken bei Sportereignissen und Großkonzerten. Sie führen aber auch die zunehmenden gesellschaftlichen Einschränkungen vor Augen oder klingt da etwa der Ruf „Auf die Barrikaden mit ?

Die als „intimidatingly cool“ charakterisierte Künstlern, – ihr Rücken ist mit Engelsflügel-Arabesken, die üblicherweise Boliden zieren, tätowiert, immer schwarz in Balenciaga gekleidet & sogar mit einem Balenciaga Model, der Künstlerin ELIZA DOUGLAS liiert, – hängt nicht einfach nur ein paar Bilder auf, sondern liefert ein den Nerv der Zeit treffendes, verstörendes Inferno auf vier Ebenen: Volle Pulle Testosteron.

Kein Wunder, dass die 46-jährige Mutter einer Tochter selbst dazu übergegangen ist, ihre „gay“ -Seite zu leben. Imhof nennt ihre Ausstellung „persönlich“ zumal sie Videos mit ihren Freundinnen zeigt und Eindrücke als Türsteherin in der Techno-Szene darin verarbeitet. Im Interview mit der „ZEIT“ meint sie, dass sie den Titel WYWG lustig fände, und die Welt friedlicher wäre, wenn die Regierenden „gay“ wären. (Eine unverifizierbare Theorie.) 

Angesichts der „Wish You Were Gay“ betitelten großformatigen, mit feinen Moiré-Mustern übermalten Glitch-Bildern auf der sich eine Person die Pistole an die Stirn hält, ließe sich der Ausstellungstitel auch als „Ich wünsche Du wärst fröhlich“ übersetzen. Laut WHO begehen jährlich 700.000 Menschen Selbstmord.

Das Museum wird zur Bühne
Im Foyer begegnet man gleich Imhof als Sängerin, einem frühen Selbstporträt-Video („MARIA“) in Großprojektion, in dem sie zu Songs aus West Side Story boxt. Es ist scheinbar ein Hinweis darauf von welcher Seite der Welt die Ausstellung handelt. Auf dem kleinen unscheinbaren mittelalterlich anmutende Aquarell and der Wand daneben hat sich die Künstlerin als Leidensfigur mit Sense im Hintergrund, gemalt, wie eine Heilige nach der sich übergroße Hände bedrohlich ausstrecken. Dieses an mittelalterliche Ikonographie erinnernde Sujet variiert sie in den Halbreliefs aus Bronze (in Zusammenarbeit mit der Kunstgießerei St. Gallen).

Passend zum Bronze-Halbrelief von zwei androgynen Figuren mit manieristisch übergroßen Händen vor einem Hintergrund mit Wasser, sitzt sie im Video gegenüber mit ihrer Freundin Nadine Franczkowski, Trauben essend in der Badewanne und kaschiert eine Totenkopfzeichnung auf die Fliesenwand. Darüber kritzelt sie „We want worldwide weed.“ Das klassische Sujet der Badenden, als Vorwand für ein erotisches Motiv, bekommt eine neue Wendung, die sich dem männlichen Blick entzieht.

Im 1.Stock hängen im gleissend roten Licht großformatige digital hergestellte und akribisch übermalte Gift-Wolkenbilder. Die Bilder vom blauen Himmel mit den schaurig-schönen, kupferfarben glitzernden atompilzartigen Giftwolken, wurden bereits für eine andere Ausstellung in Berlin mit ihrem Team erarbeitet. Durch das Rotlicht verschwinden die Farben. Nur mit viel Mühe ist noch der schöne blaue Himmel zu sehen, wie in der Realität der von „Chemtrails“ verhangene Himmel.  

Die neuen in einer Mischung aus analog und digital erzeugten Tafelbilder hängen mitunter hinter Glasscheiben, die wie Trennwände im Raum verteilt sind. Ebenso steht ein MY-OWN-PRIVATE-IDAHO betiteltes DUCATI-Motorrad als autobiographische Anspielung an das Gay-Movie von Gus Van Sant, hinter einer Absperrung und Glasbarriere auf eigener Bühne, während es an das Zelebrieren der Geschwindigkeit im mit dem Faschismus verschränkten italienischen Futurismus erinnert.

In den frühen Videos inszeniert sich Anne Imhof selbst, einmal mit Petty-Coat auf der Treppe, ein anders mal bei Boxen. Ist da nicht ein Foto von George W. Busch auf den Boxsack geklebt? In einem anderen V ideo fragt Nadine Franczkowski „we are working?“ angesichts ihrer gemeinsamen Video-Produktion, – „I never work“, antwortet Anne Imhof lapidar.

Auf der keinen Holzbank aus einer Umkleidekabine liegt Sportbekleidung. Im Stockwerk darunter steht dasselbe ready-made als hyperrealistische Bronzeskulptur. Die mit der Aufschrift SUICIDAL TENDENCIES 13  bedruckten Mannschafts-Trikots wecken Assoziationen zur post-punk Gruppe SUICIDE, oder der Thrash Band Suicidal Tendencies.
Anne Imhof produziert für Ihre Ausstellungen mitunter auch selbst Vinyl-Platten. Ihre schöne dunkle Stimme erinnert an die Velvet Underground Sängerin Nico. Eliza Douglas ist dazu eine kongeniale Musikerin.

Im letzten Stockwerk angekommen, ist das Konzert scheinbar schon vorbei. Ein Motorradhelm liegt am Boden. Im Video auf einem Monitor liegt vermutlich ein angehender Selbstmörder auf dem Bett. Die Besucher betreten eine riesige leere Bühne, die mit Ratten-Emblemen bedruckt ist: „The stage is yours“.

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Hinweis passend zum Thema: Wer Suicidal Tendencies in der Arena verpasst hat, kann Lydia Lunch mit ihrer Suicide tribute show erleben: LYDIA LUNCH & MARC HURTADO spielen SUICIDE und ALAN VEGA, 18.09.2024, Arena Wien

Übrigens wurden in der Nacht auf den 23. Juli die zur Ausstellung gehörenden Plakate mit der Aufschrift „Whish You Were Gay“ auf der Bregenzer Seestraße von Unbekannten zerstört indem das Word „Gay“ herausgeschnitten wurde. In der Nacht auf den 26. Juli. wurden wiederum die verbliebenen Löcher mit dem Wort „Tolerant“ überklebt.

Mehr Texte von Renate Quehenberger

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Anne Imhof - Wish You Were Gay
08.06 - 22.09.2024

Kunsthaus Bregenz
6900 Bregenz, Karl Tizian Platz
Tel: +43 5574 48 594-0, Fax: +43 5574 48 594-8
Email: kub@kunsthaus-bregenz.at
http://www.kunsthaus-bregenz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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