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Franz West: Gnadenlos: Paß- und Paßt-schon-Stücke

Der Mann hatte einst, es ist jetzt auch schon wieder ein gutes Vierteljahrhundert her, eine gnadenlos geniale Idee. Er nahm ein bißchen Weiß, etwas Draht und viel Gips und fügte das Do It Yourself-Material zu Bastelarbeiten, die er \"Paßstücke\" nannte. Ein wenig wie ein steif gewordener Gartenschlauch sahen sie aus oder wie ein ausgedörrtes Marsupilami. Jedenfalls konnte man mit ihnen hantieren, sie an sich schmiegen und herumtragen. Franz Wests Paßstücke waren beste und originale österreichische Kunst, und sie waren dies ohne die sonst übliche Dreingabe an Expressionismus. Es ging ihnen um den Körper, aber nicht als Ausdrucksträger, sondern als physisches Phänomen; es ging ihnen um Selbsterfahrung, aber nicht als Seelenschau, sondern als Analyse der Empfindungen. Die Paßstücke waren die Antwort der Gegenwart auf Ernst Mach. Dem Mann sind, so sieht es angesichts seiner gnadenlos groß geratenen Präsentation im MAK aus, seither die Ideen ausgegangen. Jede Menge Stühle stehen herum, zwei Betten, Tische und sonstiges Mobiliar, gut verteilt; dazu die blechernen Würste, schreiend bemalt; es gibt einige Pappmaschee-Objekte, aufgesockelt; Paßstücke sind auch dabei, neue, denn die alten sind mittlerweile längst verkauft; überall ist die eifrige Versicherung affichiert, die Dinge nur ja zu benutzen. Für draußen gibt es auch etwas, installiert am Lueger-Platz und auf der Stubenbrücke. Selten hat eine so umfangreiche Ausstellung einen so gedankenarmen Eindruck gemacht. Vielleicht ist der Mann aber auch gnadenlos geschickt. Er hat die eine himmelstürmerische Idee der Paßstücke einfach in ihre Einzelteile zerlegt: Hat das Prinzip des Hantierens den Möbeln übergeben; das Prinzip des Amorphen den Würsten; das Prinzip des monochromen Weiß den schreienden Farben; das Prinzip des Tragbaren den Pappmaschee-Objekten; das Prinzip des Physischen der Riesenhaftigkeit. In der Wirtschaft nennt man das wohl Merchandising. Gnadenlos gut. So gut wie der Ausstellungstitel grottenschlecht.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Franz West: Gnadenlos
21.11.2001 - 24.02.2002

MAK - Museum für angewandte Kunst
1010 Wien, Stubenring 5
Tel: +43 1 711 36-0, Fax: +43 1 713 10 26
Email: office@mak.at
http://www.mak.at
Öffnungszeiten: Di 10-21, Mi-So 10-18 h


Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
kommentar:
franz west | 07.01.2002 03:25 | antworten
metzger geh scheissn!
kurzer Diskurs übers Scheißen gehen
karinpernegger@yahoo.com | 04.02.2002 12:41 | antworten
Anfänglich war ich über den anonymen Kommentar enttäuscht. Es ist so belanglos kurzerhand den Kommentator einer Ausstellungsbesprechung aus dem off anzuschießen, oder um in den Worten des Verfassers zu bleiben: platt anzuscheißen. Ohne sich dies bildlich vorstellen zu wollen, eröffnet sich doch in diesem Kommentar die eigentliche Sachlage der Ausstellungsbesprechung, die Metzger in meinen Sinne in einem Spektrum vom möglichen \"gnadenlos gut\" bis hin zu einem optionalen \"grottenschlecht\" sehr gut zusammen gefaßt hat. Damit meine ich nicht das vice versa \"anpinkeln\" zwischen Kritiker und Künstler/ Rezipienten, um im Duktus des Kommentators X zu bleiben, sondern um ein spezielles österreichisches Idiom: der Faszination des Fäkalen. Trieb es Werner Schwab in seinen Fäkalien Dramen noch als Kritik an österreichischer Bourgeoisie in Wort Triaden auf die Spitzen, kontert hier unser Kommentator X vordergründig mit der Sensibilität eines Fleischhauers. West muß sich eigentlich über diese Entwicklung freuen, nicht darüber, daß der Kommentator M angegriffen wird, sondern das in Kombination beider Kommentare sich der eigentliche Subtext der Ausstellung erschließt. West, so sehe ich es, ent-emotionalisiert den \"österreichischen\" Diskurs des Scheißens mit seinen überdimensionalen Objekten, die entsinnlicht assoziativ darauf verweisen. Er bittet konsequent zur Benützung, als ob er damit sagen wolle: stelle dich dem was dein Begehren skizziert. Um so mehr muß es ihn freuen, wenn ein Fan den Aufruft startet die eigentliche Basis der Faszination des Fäkalen selbst an sich durch zu führen und sich gleichsam in den Genuß der Entleerung zu begeben. Lieferte doch West schon zum Skulpturen Projekt in Münster diesen Aufruf eine \"Stange Wasser\" für den Anblick seiner Skulptur zu spenden. Trotz allem bleibt West ein Vertreter Österreichischer Kunst, der es immer wieder kompromißlos versteht mit seinem Arbeitsansatz so richtig auf die \"Kacke zu hauen\", um im Jargon von Kommentator X zu bleiben. Seine Qualität liegt darin, sich längst über eine ästhetische und inhaltliche Diskussion seiner Arbeiten hinweg gesetzt zu haben und inzwischen der West ist, der honorabel am Markt und in Internationalen Museen brilliert und damit auch endlich Ausstellungs\"hallen\" wie die des MAKs so konsequent mit einem Kommentar des proportionalen \"ein-passens\" und \"Entlee(h)rens\" bespielen kann.

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