Gauguin - unexpected: Alte weiße Kenner
Zeitgeister spuken durch einen jeden Kanon. Nichts darf man mehr sagen, nichts darf man mehr ausstellen. Der “woke” Mob klebt sich mit Sekundenkleber an die Speerspitze der moralischen Hoheit und schaut selbstgefällig auf die Boomerschaft herunter. Und wie klein sehen wir da oben aus, albern, und absolut narzisstisch wenn wir präpotente Gendersternchen und erhobene Zeigefinger verteilen. Schon wieder wird jemand gecancelt. Schon wieder ein alter weißer Mann, der “nichts mehr sagen darf”. Schon wieder einer, den man nicht mehr ausstellen darf.
Gauguin hat in dieser Hinsicht einen buchstäblich an die Wand gemalten Lebenslauf. Dem Ennui erlegen verlässt er Paris, sowie Frau und Kinder, um nach Tahiti, damals eine französische Kolonie, zu ziehen. Dort findet er neue Inspiration, indem er sich die dortige Natur, Kultur und 13-jährige Mädchen einverleibt. Alles für die Kunst, nicht wahr?
Die Ausstellung im Kunstforum empfängt das Publikum mit einem wirklich vorbildlichen Einführungstext nach dem Motto, man solle das alles kritisch sehen und zum Anlass für Diskussionen nutzen. Danach hat es sich dann mit Input für Diskussionen - und zurück bleibt eine Ode an seine Kunst. Nichts wird verschwiegen, aber erklärt wird auch nichts.
Das Wort “Vahine”, das in der Ausstellung leider schwammig bis gar nicht übersetzt wird, ist ein Paradebeispiel dafür. “Vahine” ist die Bezeichnung für die Mädchen, mit denen Gauguin eine “Beziehung” führte. Den Kolonialherren wurden diese Mädchen quasi zur Verfügung gestellt, und das war ja auch ganz normal damals, dort in den Kolonien. Während Gauguin in Frankreich noch spießig der Kernfamilie frönte, durfte er sich dann, fernab vom Blick seiner Zeitgenossen, so richtig schön seinen Fantasien, ich meine natürlich seiner Fantasie, hingeben. In der Biografie am Ende der Ausstellung steht das alles schwarz auf weiß, wenn auch diplomatisch formuliert, denn man will ja niemandem zu nahe treten. Was bedeutet “Vahine" denn nun? Wenn man es googelt, lächeln halbnackte junge Frauen vom Bildschirm.
Die Kultur, die Gauguin so faszinierte und inspirierte, wird in seiner Kunst gleichermaßen idealisiert und fetischisiert, die Religion mit christlich anmutender Ikonographie glattgebügelt. Nackte Frauen, angezogene Männer, aber hey, heutzutage würden wir das ja nicht mehr machen.
Ich will nicht lügen, es geht mir auf die Nerven, die Moralapostelin zu spielen. Meine Gegenüber, die ebenso selbsternannten Advocati Diaboli, scheint es ja nicht so zu stören, ihre Rolle einzunehmen. In der Cancel-Kanzlei gibt es immer das Todschlag-Argument, wie wichtig jemand war für die Kunst. Das mag sein, aber eine Ausstellung muss sich dann klar positionieren. Klar dagegen Positionieren. Das ist nicht mit einem Saaltext getan - so minutiös wie sein Einfluss auf die Kunstgeschichte erklärt wird, muss auch sein Einfluss als weißer privilegierter Franzose auf die Gesellschaft Tahitis erklärt werden. Der Einfluss bleibt unbestritten, in beiden Fällen.
So idealistisch es ist, den Weltstrumpf und den Kanon umkrempeln zu wollen, ist die Lösung mit Sicherheit nicht, Gauguin grundsätzlich nicht mehr auszustellen. Vielmehr soll sein Verhalten mit allen patriarchalen, pädophilen, perversen Einzelheiten verdeutlicht werden, damit ich ihn als Person bitteschön canceln kann. Dann höre ich auch gerne den ganzen Kennern zu, warum seine Kunst für die Kunstgeschichte so wichtig ist.
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