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Orlan. Six Decades: Der Köper als Territorium

Sie ist wohl die feministische Künstlerin Frankreichs. Ihr Auftreten, ihr mehrfach operierter Körper, ihre geschminkten Silikonimplantate im Gesicht sind Teil ihres künstlerischen Wollens. Sie tritt inhaltlich und optisch als Gesamtkunstwerk in Erscheinung und stieß damit die Bourgeoisie und den Kunstbetrieb immer wieder vor den Kopf.

Die Rede ist von der französischen konzeptionellen Künstlerin ORLAN, der derzeit eine Ausstellung im Stiegenhaus der Verbund Zentrale gewidmet ist. Das Stiegenhaus ist für solch eine monströse Künstlerin, als die Sie sich auch selbst bezeichnet, ein wenig kläglich. Aber schon Cindy Sherman oder Birgit Jürgenssen wurden auf diesen 7 Etagen der sogenannten Vertikalen Galerie verhandelt. Der Verbund kaufte rund 20 frühe Werke von ORLAN an und präsentiert sie nun in diesem Rahmen. Es umfasst 6 Dekaden Schaffenszeit der 75jährigen Künstlerin. Dazu erschien ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen von Elisabeth Bronfen, Patricia Allmer u.a. zum Werk von ORLAN. 

Blickt man zurück in die frühen Jahre der Künstlerin, in denen sie die entscheidenden Weichenstellungen für ihr weiteres Oevre vornahm, so springt die Arbeit „ORLAN gebiert ihr geliebtes Selbst“ von 1964 ins Auge. Darin sitzt die 17jähribe nackt und zwischen ihren Beinen erhebt sich nochmals ihr Oberkörper mit Glatze. Diese frühe Arbeit war eine Art selbstvergewissernde, gebärende Initiation und zeigt ihre Theater- und Tanzerfahrung, die auch später noch für ihre Performances wesentlich werden sollte.

Einige Jahre später entstand die als Titelbild für den Katalog gewählte Arbeit „Versuch dem Rahmen zu entkommen“. ORLAN windet sich dabei aus einem historistischen Bilderrahmen heraus. Mit einem Bein, einem Arm und dem Kopf hat Sie es bereits geschafft. Gegen das „Einrahmen“ ihrer Person und ihrer Kunst hat sie sich ein Leben lang gewehrt, wie sie auch im Künstlergespräch anlässlich der Eröffnung betonte.

Die Frau in den patriarchalen Systemen wie Gesellschaft und Kirche thematisierte sie in einer mutigen Performance auf der FIAC (Messe für zeitgenössische Kunst) in Paris 1977. Dabei stellte sie, uneingeladener Weise, auf einem Podest eine Fotografie Ihrer selbst als Madonna mit Kind in barock drapiertem Faltenwurf dar. Davor brennen vier Kerzen. Daneben steht ein Stuhl mit einem Foto ihres nackten Oberkörpers auf Holz aufgezogen und die Künstlerin sitzt dahinter. Für fünf Franc bot sie jedem der das wollte einen Kuss an. Die Bezahlung in Münzen fiel dann durch eine Röhre in ein Gefäß, dass am Venushügel des aufkaschierten Oberkörpers befestigt war. Es gibt zahlreiche Fotos von dieser Aktion, wo Männer und Frauen den „Kuss der Künstlerin“ genossen. Die simple Polarität von Frau als Heilige und Prostituierte wurde von ORLAN sehr lustvoll und frech thematisiert. Die Münze im Opferstock bringt unmittelbaren Lustgewinn. Die Aktion hatte schwerwiegende Folgen. ORLAN verlor ihren Posten als Lehrende, damit auch ihr Gehalt und konnte in der Folge ihr Atelier nicht halten. Es folgten schwierige Jahre, die erst mit der Zuteilung eines Ateliers in der Cité internationale des Arts 1983 in Paris endeten.

Aus der frühen Zeit sei eine weitere Perfomance erwähnt, die sie bis 2012 an verschiedenen Orten immer wieder wiederholte: „MesuRAGE“ (Wutmessungen). Das erste Mal fand die Performance 1974 am Petersplatz in Rom statt. Orlan vermass den Platz mit ihrer Körpergröße indem sie sich ausgestreckt auf den Boden legte und einen Kreidestrich oberhalb ihres Kopfes zog. Daraufhin kroch Sie auf allen vieren weiter, bis ihre Fersen am Kreidestrich zu liegen kamen und sie sich erneut als Längenmaß hinlegte. Dabei trug sie ein helles Überkleid, gefertigt aus ihrer Aussteuer, das sie am Ende der Performance wusch und das Schmutzwasser in kleine Flaschen einfüllte, die sie plombierte. Danach erstellte sie ein Dokumentationsblatt, wo sie Beginn, Anzahl ihrer Körperlängen und andere Eigenschaften der Performance aufschrieb. Mit ihrer Masseinheit, die sie „ORLAN-Körper“ nannte, schuf sie ein weibliches Maß jenseits der männlichen Baumeister des Petersdoms von Giocondo bis Bernini.

Nicht nur bei den „MesuRage“ gibt es eine Parallele zur österreichischen Künstlerin VALIE EXPORT, die sich in den 70er Jahren ebenso in öffentliche Gebäude einschrieb. Auch der „Kuss der Künstlerin“ erinnert uns an das „Tapp- und Tastkino“ von VALIE EXPORT und Peter Weibel. Die beiden Künstlerinnen, die auch die Großschreibung ihres Namens gemeinsam haben, lernten sich aber erst später kennen und wussten nichts von ihrer ähnlichen künstlerischen Praxis.

Vielleicht sei hier noch ORLANs Bezugspunkt zum Barock erwähnt. Immer wieder posierte sie in Faltendraperien angelehnt an jene in Lorenzo Berninis „Verzückung der Teresa von Avila“ in Rom, wo die göttliche Ekstase der Teresa in  Form eines menschlichen Orgasmus gezeigt wird. ORLAN nimmt immer wieder auf dieses Werk Bezug, so auch in Ihrem „Gelegenheitsstriptease mit dem Laken ihrer Aussteuer“ 1974/75, wo sie als Madonna mit Kind im barocken Stil beginnt und am Ende der Bilderfolge, nachdem Sie wie Botticellis Venus posierte, den Lakenhaufen verlässt. Der Patz ist leer. Die Künstlerin hat den Ort des Geschehens verlassen. 

 

1989 legt ORLAN ihr Manifest „Art Charnel“ („Fleischeskunst“) vor, das die Grundlage ihrer zwischen 1990 und 1993 erfolgten chirurgischen Eingriffe bildet. ORLAN ließ sich in dieser Zeit an Beinen, Hüften und später am Gesicht operieren. Mit Lokalanästhesie betäubt, las sie Texte vor und ließ die Operation via Livestream in Kunstinstitutionen übertragen. Diese Körperkunst galt nicht der ästhetischen Optimierung des Körpers, sondern ORLAN wollte die Deutungshoheit über ihren Körper selbst besitzen. Keine gesellschaftlichen Zuschreibungen auf den genormten Körper einer Frau sollten greifen, bloß ihr künstlerisches Wollen sollte seinen Ausdruck finden.

Die Sammlung Verbund zeigt in ihren oberen Etagen noch Arbeiten aus den 2000ern und ihre Auseinandersetzung mit Picasso. Bemerkenswert ist ihre Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz, die in dem Roboter „ORLAN & ORLAN -oide“ von 2018 zeigt. Die Wendigkeit von ORLAN ist hier erneut feststellbar. Und doch bleibt es immer der Körper, der als Territorium dient. Sowohl in seinen fremden Zuschreibungen als auch in der weiblichen Selbstermächtigung. Insofern war diese erste Schau in Österreich der Ausnahmekünstlerin längst überfällig. Und dem Verbund ist für dieses Bemühen zu danken.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Orlan. Six Decades
22.03 - 19.07.2023

Vertikale Galerie in der Verbund-Zentrale
1010 Wien, Am Hof 6a
Tel: +43 5 03130
Email: sammlung@verbund.com
http://www.verbund.com/sammlung
Öffnungszeiten: Die Ausstellung ist jeden Mittwoch um 18:30 Uhr und jeden Freitag um 16:00 Uhr im Rahmen eines kostenlosen Rundgangs gegen Voranmeldung zu besichtigen (ausgenommen Feiertage). Anmeldung unter sammlung@verbund.com oder +43 50 313-500 44.


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