Werbung
,

Zwickt’s mi

Während intime Kenner der Berliner Museumsszene ins Grübeln kommen, wie oft der Hamburger Bahnhof (HBhf) in den letzten beiden Jahren schon gerettet wurde, dürfte es für die Allermeisten nicht vermittelbar sein, warum der für Gegenwartskunst zuständige Ableger der Nationalgalerie (NG) überhaupt gerettet werden muss. Erklärungsbedürftig, warum eine Museumsrettung – 2022 – dem Bund sowie dem Land Berlin zusammen 166 Millionen Euro wert ist. Erklärt werden muss auch, warum das alles ein Grund zum Feiern sein soll.

Eine kurzfristige Pressekonferenz unter anderem mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), den Senatoren für Kultur und Finanzen Klaus Lederer (Die Linke) und Daniel Wesener (Grüne) auf Seiten der Retter, Silvia Schmitten-Walgenbach als CEO der österreichischen CA Immo auf dem Podium und den Geretteten – allen voran SPK-Präsident Hermann Parzinger und  die HBhf-Direktoren Sam Bardaouil und Till Fellrath – im Publikum sollte mit viel gegenseitigem Schulterklopfen nun Klarheit bringen.

Zum Verständnis der Geschichte gehört, dass der Hamburger Bahnhof zur dringend reformbedürftigen Mega-Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) gehört, laut Roth die kulturelle „Champions League“. Dort versickert viel Geld in einer dysfunktionalen, überverwalteten Struktur, wie der unabhängige Wissenschaftsrat in einem Gutachten 2020 herausfand. 

Doch nicht nur dort ist der Grund für die Misere zu suchen. In Kurzfassung: Der seit 1996 als Kunstmuseum betriebene HBhf (6000 Quadratmeter Ausstellungsfläche) sowie die 2004 als Erweiterungsbau hinzugekommenen Rieckhallen (13.000 Quadratmeter in einem alten Bahnlager) werden nun qua Ankauf „als Kunststandort gesichert“. Richtig gehört. 2017 wurde intern, im Juni 2020 öffentlich bekannt, dass Bahnhof und Hallen weder der SPK als Betreiber bzw. Bund und Land, sondern der CA Immo gehörten.

In anderen Worten: Der einst noch mit 100 Millionen D-Mark sanierte Hamburger Bahnhof samt den 2004 mit Geld des Kunstsammlers Friedrich Christian Flick instandgesetzten Rieckhallen, gingen der öffentlichen Hand auf bisher ungeklärte Weise im Zuge des Privatisierungsbooms der Nullerjahre verloren. Das kümmerte aber weder Bundes- und Landespolitik, noch die SPK oder die Museumsleitung – bis Flick unter beredtem Schweigen seine Sammlung abzog. Warum? Die CA Immo, seit 2007 Eigentümerin der Grundstücke, wollte auf dem Rieck-Areal bauen. Warum auch nicht, nachdem im Berliner Bebauungsplan dafür Mischnutzung ganz ohne Kultur vorgesehen war.

War der HBhf einst gut neoliberal als „Sammlermuseum“ konzipiert worden, bekam sein Selbstbild durch das Flick-Desaster irreparable Risse und ist auch nach außen beschädigt. Die Bauabsicht der CA Immo setzte derweil einen ob der getrennten Bundes- und Länder-Kompetenzen zunehmend verzweifelten Rettungswettbewerb in Gang. Mit drohendem Ende des Mietverhältnisses – und ohnehin seit Jahren dramatisch unterfinanziert (Sammler bringen schließlich ihre Kunst mit) waren auf Museumsseite an langfristige Programmplanung, die verlässliche Einhaltung konservatorischer Standards bei Ausstellung und Lagerung, Zusagen an Sammler und Sponsoren nicht mehr zu denken. Man sah und sieht es dem schwer zu bespielenden Haus leider an.

Deshalb kann es gut sein, dass der „Doppelwumms“ mit 66 Millionen Euro Bundesmittel für den Ankauf des Hamburger Bahnhof und 70 Millionen aus der Berliner Landeskasse sowie einem Grundstückstauch (Wert 29,5 Millionen) mit der CA Immo für die allenfalls grundsanierten Rieckhallen als alternativlose Rettungsmaßnahme schlicht zu spät kommt.

Ob das Museum nur „sicher“ ist oder, wie in einem Instagram-Post von Klaus Lederer, erfolgreich „vergesellschaftet“: institutionell, programmatisch und in seiner Kredibilität ist es heruntergewirtschaftet – aktuell mit überfälligen Sanierungsmaßnahmen im Bauzaun-verstellten Westflügel, Kosten unbekannt.

Kein Wunder, dass SPK-Grande Parzinger, der jeden Reformanlauf bislang effizient aussitzen konnte, von dieser Last-Minute-Rettungsaktion als „kulturpolitischer Sternstunde“ schwärmt. Für die Erfüllung des musealen Kernauftrags, Kunst zu sammeln, zu bewahren und zu vermitteln, hielt die SPK zuletzt jährlich ganze 6000 Euro vor – für alle drei Häuser der Nationalgalerie. Bundes-Berliner „Champions League“ halt.

--
Abbildungen: Aussenansicht des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart – Berlin © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Katharina Grosse - It Wasn’t Us - Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin - Rieckhallen - Entgrenzte Malerei © Grosse, Bildrecht, Wien 2022
C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org

Mehr Texte von Hans-Jürgen Hafner

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: