Rainer Metzger,
2001 ? leider wieder kein Pilzjahr
An dieser Stelle gilt es das Vermächtnis eines großen Menschen in Erinnerung zu rufen, dem Wolfgang Hildesheimers \"Lieblose Legenden\" einst eine besondere Reminiszenz zuteil werden ließen. Unter dem Titel \"1956 ? ein Pilzjahr\" gedachte Hildesheimer zu Ehren von dessen hundertstem Todestag eines gewissen, leider nur legendären, Gottlieb Theodor Pilz. \"Sein Beitrag zur Geschichte der abendländischen Kultur kommt in der Nichtexistenz von Werken zum Ausdruck\", so Hildesheimer, \"Werken, die durch sein mutiges, opferbereites Dazwischentreten niemals entstanden sind\". In diesem Sinn entwendet der noch kindliche Gottlieb Theodor keinem geringeren als Klopstock, einem Freund der Familie, \"ganze Stöße von Oden\", und später bringt er Rossini dazu, sein Engagement der Musik gänzlich ab- und den Tournedos um so hingebungsvoller zuzuwenden. Pilz war für Beethovens Schaffenskrise zwischen 1814 und 1818 zuständig, und es gelang ihm, \"Delacroix die Idee einer Reihe von Kolossalgemälden verschiedener Urwaldszenen auszureden\", so Hildesheimer weiter. \"Zu früh ist er gestorben\", endet der Beitrag, \"und wir können nicht umhin, festzustellen, daß auch heute ein Pilz am Platze wäre\".
Wir können in der Tat nicht umhin. Pilz ist unsere literarische Lieblingssgestalt, doch wieviel gäben wir darum, gäbe es ihn. Nie wäre er so wertvoll wie heute. Gerade hierzulande. Dank seiner wäre womöglich Rudolf Leopold Augenarzt und wäre Laurids Ortner in Linz geblieben. Peter Handke hätte sich nach seiner \"Publikumsbeschimpfung\" mit dem Verfassen einer Grammatik des Slowenischen zufriedengegeben. Franz Morak hätte nie gesungen und dann vielleicht auch nie Subvention mit Subversion verwechselt. Die Wiener Aktionisten hätten mehr Freud mit dem Leben als ein Leben mit Freud. Der Biennale-Pavillon wäre nicht gebaut worden und damit Österreichs Teilnahme in Venedig hinfällig. Peter Weibel wäre in Odessa, Peter Turrini in Maria Saal und Konrad Paul Liessmann in Villach geblieben. Doch leider ist alles ganz anders gekommen. Und wir warten vergebens auf ein neues Pilzjahr.
Mehr Texte von Rainer Metzger