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Verortung einer künstlerischen Geografie

Die manifesta 14 versammelt künstlerische Positionen von Vertreter:innen albanisch-sprechender Ethnizitäten der Region bzw. ihrer Diaspora, die in ein Netzwerk an Arbeiten südosteuropäischer Provenienz eingebunden sind und von einigen internationalen Satellitenbeiträgen ergänzt werden.

Im Sinne einer politischen Korrektheit werden Themen wie Kapital, Ökologie, Migration, Genderdiskurse sowie über Realpolitik hinausgehende Debatten einer utopisch-esoterischen Dimension verhandelt und in 25 Stationen, deren Gebäude zu den Landmarks der Stadt zählen, präsentiert. Das einstige Grand Hotel, in dem auch Tito residierte, dient als Hauptaustragungsort, in dem jedes Stockwerk einem eigenen Thema gewidmet ist.

Ein wesentlicher Aspekt der aktuellen Ausgabe ist ihr repräsentativer Querschnitt post-transitorischer Transformationsprozesse, die Fragen zur aktuellen Verortung der Region als unmittelbarer Nachbar bzw. potenzieller Partizipant in einer neuen Krisenregion aufwerfen. Herausragend unter den Arbeiten zum Thema Migration ist Adrian Pacis Zweikanal Videoinstallation „The Wanderers“, die er in einer abgelegenen Landschaft nahe seiner Geburtsstadt Shkodër in Albanien aufgenommen hat. Ein Kanal in Schwarzweiß zeigt, wie Leute und Tiere zufällig ins Bild treten, während im Farbteil die Handlung der Personen inszeniert wird und Fragen zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft aufgeworfen werden. Im Teil zu Fragen der Liebe historisch wertvoll Marta Popivodas Berlinale-Film über Jugoslawien, in dem performative Großveranstaltungen wie Paraden und Massenchoreografien in Stadien der Huldigung des Landes dienten und monströse Bilder einer verqueren Ideologie lieferten. Daneben Liebesnotizen von Driton Selmani auf Plastiktüten, die aufgrund ihres nichtrecyclablen Materials für die Ewigkeit bestimmt sein könnten.

Im öffentlichen Raum hervorstechend ist Alban Mujas Installation „Above Everyone“, der am Dach eines ehemaligen Kaufhauses der Sechziger-Jahre-Moderne ein kleines Haus platzierte, wodurch er auf illegale Aufbauten auf den Dächern von Prishtina referenziert, die wie Pilze auf den Häusern sprießen. Unmittelbar daneben verklebte Ugo Rondinone das graufarbene Monument für die Helden der einstigen nationalen Befreiungsbewegung, das dem Freiheitskämpfer des 90er Jahre Kosovokrieges Adem Jashari umgewidmet werden hätte sollen, in Lila Farbe als Teil des Regenbogensegments und macht dadurch auf die unzähligen Monumente der Region aufmerksam, die aus aktueller Sicht mit einem Ablaufdatum versehen sind.

Einer der regional/international bedeutenden Beiträge stammt vom ICA Sofia, deren Mitbegründerin Iara Boubnova und Kuratorin der manifesta 4 es ermöglichte, dass in der Kunstfakultät der Universität unter Kuratorenschaft von Luchezar Boyadjiev und Kalin Serapionov eine Ausstellung mit 25 bulgarischen Künstler:innen stattfand und sich ein wichtiges geografisches Partnerland in die Biennale einschleusen konnte.  

Im Hamam des Fatih Sultan Mehmet zeigt die Vendig-Biennale geprüfte japanische Künstlerin Chiharu Shiota eines ihrer Geflechte aus roten Fäden, inmitten derer sich Texte von Kosovar:innen befinden, die sich allen möglichen Lebenssituationen widmen. Neben diesen internationalen Positionen im Begleitprogramm hervorstechend Bruno Serralongues Fotografien in der Galerie LambdaLambdaLambda, für die er seit dem ersten Jahr der Unabhängigkeit Kosovos 2009 stets in dieses Land zurückkehrte und politisch wesentliche Momente der Transformation fotografisch begleitete.

Mit der Wahl des Austragungsortes für eine europäische Biennale konnte politisch kein stringenterer Ort als Prishtina gewählt werden, der die Problematik ethnisch geprägter Konflikte aktuell wie kein anderer repräsentiert und aufgrund des jüngsten Bevölkerungsdurchschnitts in Europa die Notwendigkeit künstlerischer Positionierungsmöglichkeiten propagiert.            

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manifesta 14
bis 30. Oktober 2022
Prishtina, Kosovo
--> manifesta14.org

Mehr Texte von Walter Seidl

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