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Langweilen auf hohem Niveau

Die gleich dritte Berlin Biennale in Folge zum Thema Dekolionialismus zeigt deutlich: Der „postkolonialen Theorieindustrie“ (do Mar Castro Varela/Dhawan) ist es gelungen, zumindest in Berlin keinen anderen Diskurs mehr als den ihren eigenen als legitim erscheinen zu lassen. So verwundert es auch nicht, dass die 12. Berlin Biennale wieder einmal Themen in den Fokus rückt, die inzwischen im Kunstsystem zur avancierten Politkunst-Folklore zählen: Dekolionialismus wird da nämlich unter dem Titel „Still Present!“ in Zusammenhang mit Fragen nach Gender, Ökologie, Faschismus, Kapitalismus , Erinnerungskultur und Restitution diskutiert.

Entscheidender aber für die Beurteilung dieser Berlin Biennale ist, dass die vom (Künstler-)Kurator Kader Attia und seinem fünfköpfigen Team für „Still Present!“ ausgesuchten Arbeiten der 70 Künstler:innen sich durchweg im längst gewohnten Kunstfeld bewegen, also weder formal noch inhaltlich etwas Neues ausprobieren oder gar Risiken eingehen. Mit Wehmut erinnert man sich da zum Beispiel an die damals heftig kritisierte 7. Berlin Biennale, die mit ihrem aktivistischen Kunstansatz neue Optionen für Kunst eröffnete und deren Occupy-Museum-Camp im Basement der Berliner KunstWerke heute als Blaupause für die vor der Tür stehende Documenta 15 gelten kann.

Ein gutes Beispiel auf hohem Niveau für die letztlich politisch korrekte Gediegenheit der 12. Berlin Biennale ist die Multimedia-Installation „Cloud Studies“, 2022, von Forensic Architecture, die in der für die Gruppe typischen Weise über die politische und ökologische Dimension von Wolkenbildung nachdenkt. Da diese Arbeit von Forensic Architecture in der „Alten Akademie der Künste“ nicht eingebunden ist in konkretes politisches Engagement, erscheint sie, wie beinahe alle der in der Ausstellung zu sehenden Arbeiten, als bloße, mehr oder weniger ästhetische Recherche- und Anklagekunst. So wird da in unmittelbarer Nähe dann auch die Skulptur „Ballad of the east sea“, 2010, von Dao Chau Hai präsentiert, die gewaltsame Auseinandersetzungen im Ostchinesischen Meer thematisieren soll. Zu sehen aber ist nicht mehr als die geschwungene Form einer Welle, gefertigt aus schwarzem Metall, das hier unter anderem für Industrialisierung und Waffenproduktion steht. Die scharfen Kanten der Bodenarbeit schließlich soll, so verrät der Katalogtext, das Gefühl von Angst und Verletzbarkeit evozieren – ästhetischer Symbolismus pur. Gleiches gilt zum Beispiel für Binta Diaws Bodenarbeit „Diaspora“, 2021, aus geflochtenem Haar, das hier überaus ästhetisch an den transatlantischen Sklavenhandel erinnern soll.

Gleich im ersten Raum der KunstWerken ist dann ein „zentrales Werk der Berlin Biennale“ (Monopol), und zwar die Installation „Exile is a hard job“, 1983 – 2022, von Nil Yalter gezeigt. Der Titel der Arbeit steht in roten Buchstaben an der Wand geschrieben, angebracht auf schwarz-weiß Porträts von Menschen aus Portugal und der Türkei, die in den 1980er Jahren nach Westeuropa immigriert sind. Außerdem sind in dieses „Aushängeschild der 12. Berlin Biennale“ (ebenfalls Monopol) fünf Monitore integriert, auf denen von der Künstlerin geführte Interviews mit Migrant:innen zu sehen sind. Auch diese Arbeit, so wichtig ihr Anliegen auch ist, ist eine, die im Modus der bloßen künstlerischen Repräsentation verharrt und dabei genau so aussieht, wie man es heute von politischer Kunst erwartet.

Kurz und schlecht: Ohne die kollektiven Handlungsoptionen, die zum Beispiel jetzt die Documenta 15 verspricht, erscheinen die Arbeiten in der Berlin Biennale 12 als eher fade, eben lediglich passiv zu konsumierende ästhetische Angelegenheiten.

PS: Nachdenken sollte man wohl auch darüber, dass Kader Attia bis Ende März diesen Jahres eine Einzelausstellung mit seinen eigenen künstlerischen Werken im diktatorischen Unrechtsstaat Katar hatte.

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12. Berlin Biennale
11. Juni bis 18. September 2022
--> www.berlinbiennale.de

Mehr Texte von Raimar Stange

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