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Marlene Dumas - open-end: Der weite Horizont

Sie ist wohl eine der berühmtesten und erfolgreichsten Malerinnen der Gegenwart. Ihre Arbeiten, die in sämtlichen Museen der Welt zu sehen sind, sind malerisch aufgefächerte Aufschreie gegen Gewalt und Unterdrückung. Es interessiert sie das menschliche Gesicht, der Körper, seine Facetten und sein Ausdruck. Dabei sind ihre Arbeiten nie lieblich oder schmeicheln dem Betrachter gar. Im Gegenteil.

Die Rede ist von der südafrikanischen Malerin Marlene Dumas, der derzeit im Palazzo Grassi eine umfassende Retrospektive gewidmet ist. Auf zwei Etagen werden über 100 gemalte Bilder, Zeichnungen und ein kurzer Film gezeigt. Mit Marlene Dumas widmet der Palazzo Grassi bzw. die Sammlung Pinault erstmals einer Frau eine zeitgenössische Großausstellung.

Die Ausstellung „Marlene Dumas: Open End“ wurde kurz vor der diesjährigen Biennale eröffnet und erweitert somit den Ausstellungsfrühling 2022 in Venedig um eine wichtige internationale Position.

Marlene Dumas wurde 1953 in Kapstadt geboren, studierte Kunst und ging ein Jahr nach ihrem Bachelor of Art 1977 in die Niederlande. Amsterdam mit seinem freien Drogenkonsum und seiner sexuellen Freizügigkeit faszinierte die junge Südafrikanerin, die aus dem rassistischen, gewaltbereiten und rigiden Apartheitregime Südafrikas kam. Dumas vertiefte in Haarlem ihr Studium der Kunst und schrieb sich 1979 für Psychologie ein - ein Fach, das sie prägte aber das sie nicht beendete.

Im Zentrum ihres malerischen Werkes steht der körperliche Ausdruck der Menschen in Leid, Tod, Sexualität, Gewalt und Vergänglichkeit. Meist sammelt Dumas Bildmotive, die sie mit Polaroid Kamera fotografiert, oder sie verwendet Bildausschnitte aus Filmen, die sie berührten.  

So ist im Palazzo Grassi auch eine Serie von 2012 zu sehen, die Pier Paulo Pasolinis Leben und Werk zum Thema hat. Unter dem Titel „Mama Roma“ zitiert Dumas einen Ausschnitt aus dem Film von P. P. Pasolini in dem Anna Magnani einen Schrei ausstößt. Es ist die Klage um ihren verlorenen Sohn, der in einen Diebstahl verwickelt ist und zu Tode kommt. Der Schrei wendet sich direkt an den Betrachter und wird förmlich auf ihn übertragen. Neben dieser Arbeit sind zwei Porträts von Pier Paulo Pasolini und seiner Mutter zu sehen. Beide im Dreiviertelporträt gemalt, blicken auf den Betrachter. Beide Gesichter umfängt eine gewisse Düsternis und dennoch wenden sich die Protagonisten dem Betrachter lächelnd zu. Die unheimliche Dimension der Darstellung bei Marlene Dumas ist immer präsent. Vor allem, wenn man in dem Booklet zur Ausstellung nachlesen kann, dass Pasolini seine Mutter als Lebensmensch bezeichnete und bis zu seinem Tod als erwachsener Mann bei ihr lebte.

Marlene Dumas setzte sich in ihrer Bildwelt nicht nur mit der Gewalt in Südafrika auseinander, sondern 2010/12 auch mit dem Leiden des palästinensischen Volkes. Es entstanden düstere Bilder von der Mauer in der Westbank („Figure in a Landscape“) oder von einem Jungen, der sein T-Shirt hochzieht und den nackten Oberkörper entblößt, um bei einem Checkpoint der israelischen Armee zu zeigen, dass er keinen Sprengstoffgürtel trägt.

Diese Motive sind bei Dumas nicht auf den ersten Blick zu enträtseln. Doch das künstlerische Talent von Marlene Dumas lässt den Betrachter erahnen um welche fundamentalen Sujets, mit all ihren widrigen Emotionen, diese Malerei einzufangen versteht.

Zuletzt sei auf drei Hochformate im zweiten Stock des Palazzos verwiesen. Unter dem Titel „The Origin of Painting“ 2018 zeigt sich Dumas selbst, wie sie an einer Figur arbeitet. Sie bezieht sich dabei auf die Legende von Kora von Sicyon, die den Schatten ihres Geliebten an die Wand malte um seine Abreise zu verhindern. Ein ähnliches Arbeiten an einer Figur, ein Modellieren, ein Hinzufügen und Wegnehmen ist auch bei „ The Making of 2020“ zu sehen. Auch hier stehen sich Geschöpf und Schöpfer frontal gegenüber und bedingen einander.

Es ist ein großes Glück diese Ausstellung von Marlene Dumas im Palazzo Grassi sehen zu können. Der Besucher erfährt einen Wesenszug von Malerei, der so nicht oft sichtbar wird. Und man wird andächtig und still angesichts dieser großen Meisterwerke.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Marlene Dumas - open-end
27.03.2022 - 08.01.2023

Palazzo Grassi
3231 Venedig, San Samuele
http://www.palazzograssi.it/
Öffnungszeiten: Mi-Mo 10-19 h


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