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Berliner Weise – Gallery Weekend 2022

Berlins Corona-Inzidenzwert bleibt hoch, die Frühlingsmonate sind wieder viel zu trocken und an den Krieg hat man sich fast gewöhnt. „Das Leben geht weiter“ und die Kunstszene der Stadt zelebriert unverdrossen ihr Gallery Weekend mit immerhin 52 teilnehmenden Galerien und über 80 „internationalen“ Künstler:innen. Da fällt die Auswahl der zu besprechenden Ausstellungen schwer, zumal auch Galerien am Rande des Spektakels, also nicht teilnehmende, aber gleichzeitig Kunst präsentierende Galerien, selbstverständlich nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Oftmals sind nämlich genau dort die spannenderen Arbeiten zu sehen. 

Die wohl wichtigste Ausstellung des Gallery Weekends ist dann auch die Ausstellung „Dialogue“ mit James Bride und Jonas Staal in der Galerie NOME. Hier werden die Optionen für eine posthumane Welt, in der menschliche und nichtmenschliche Wesen endlich gleichberechtigt sind, in unterschiedlicher Weise von den beiden Künstlern ausgelotet. Im Zentrum steht dabei Jonas Staals in einem Video präsentiertes Projekt „Court for Intergenerational Climate Crimes (CICC), seit 2021. Das Langzeitprojekt besteht aus einem international besetzten Tribunal, in dem Verbrechen gegen die Natur angeklagt werden. Genauer: kapitalistische und koloniale Verbrechen, die dafür sorgten, dass die „Kameraden“, wie Staal es nennt, aus der Tier- und Pflanzenwelt ausgerottet wurden. Ausgewählte „Comrades“ werden dann auch in der Ausstellung auf bedruckten, von der Decke hängenden Flaggen vorgestellt. Diese Arbeit entstand übrigens in einer Zusammenarbeit von Jonas Staal mit der Künstlerin Laure Prouvost.

Ein weiteres Highlight des Gallery Weekends ist die Präsentation der Documenta 13-Teilnehmerin Anna Boghiguian in der Galerie KOW. Gleich im Erdgeschoss begrüßt die Installation „A Tin Drum That Has Forgotten Its Own Rhythm“, 2019, in deren Mittelpunkt eine disfunktionale Trommel steht, die Besucher. Um der Trommel herum stehen aus Stahlblech gefertigte Figuren, die mit Zinn galvanisiert wurden, und von der Künstlerin in der für sie typischen Weise sensibel und ruppig zugleich bemalt sind. Anna Boghiguian thematisiert hier den Zinnbergbau in Cornwall, der 1998 eingestellt wurde, was die Region endgültig in eine schwere wirtschaftliche Krise stürzte. Eben dieses wird mit den Motiven der Zinnfiguren, Szenen aus der Arbeitswelt Cornwalls, kritisch ins figurative Bild gesetzt.

Die Galerie Nagel Draxler stellt auf dem Gallery Weekend unter dem Titel „Fake Stupid, Queen Of Cringe“ neue Arbeiten von Christine Wang vor. Die US-amerikanische Künstlerin hat da unter anderem die deutsche Alt-Kanzlerin Angela Merkel mehr oder weniger „realistisch“, selbstverständlich mit obligater „Merkel-Raute“,  gemalt, so zum Beispiel wie sie an einer Computer- und Videospielmesse teilnimmt. Ihr fast schon humoristisches Porträt „Gamescon“, 2022, gerät so gleichsam zwischen die Fronten von virtueller Realität und haptischer Präsenz auf bemalter Leinwand.

In der Galerie Barbara Thumm sind Arbeiten von El Hadji Sy zu erleben. El Hahji Sy gilt seit der 1980er Jahre als einer der wichtigsten Künstler aus dem Senegal. Der Maler, Bildhauer und Aktivist tritt vermeintliche Regeln der Kunst immer wieder ganz konkret mit den Füßen, malt der Künstler doch viele seiner Bilder mit eben diesen. Auch darum entwickeln sich seine Gemälde nicht zuletzt aus der Gestik körperlicher Bewegung. So entstehen figurative und abstrakte Bilder, oft expressive Porträts, wie zum Beispiel das von der afroamerikanischen Bürgerrechts-Ikone Angela Davies, das jetzt neben weiteren Malereien und Skulpturen in der Galerie Thumm ausgestellt ist.

Die Galerie carlier/gebauer gleich um die Ecke präsentiert dann die als poetisches Narrativ konzipierte, aber ein wenig überladene Gruppenausstellung „Looking Through the Threshold“ mit gleich 14 Künstler:Innen. Arbeiten von Thomas Schütte, Nida Sinnokrot und Dolores Zinny etwa stehen da zum Kauf bereit. Premiere feiert Asta Groetings Film „Wolf and Dog“, 2022, der in behutsamer Slow Motion die Begegnung eines Hundes (der Künstlerin) mit einem Wolf zeigt.

Eine spannende Entdeckung schließlich sind die großformatigen Bilder von Shila Khatami in der Galerie kajetan. Shila Khatami malt mit Farbwalzen auf industriell gefertigte Aluminiumplatten, aber auch auf Leinwand. Ihre Bildfindungen spielen an abstrakte Formen des Konstruktivismus ebenso an, wie an die Zeichenwelt des Pop. Dynamisch-lapidar und klug komponiert zugleich kommen diese Bilder daher und weisen dabei jedweden auratischen Anspruch erfrischend zurück.

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Details zu den Ausstellungsorten im --> artmagazine Kalender und unter

--> www.gallery-weekend-berlin.de

Mehr Texte von Raimar Stange

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