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Dan Graham 1942 - 2022

Mit Dan Graham haben wir einen der bedeutendsten und originellsten Künstler verloren, dessen innovatives und vielfältiges Werk seit den späten 1980er- und 1990er-Jahren in Europa, insbesondere in Wien eine junge Generation von Künstler*innen aber auch Architekt*innen u.v.a.m. maßgeblich beeinflusste. Dan Graham war Dichter, Galerist, Kritiker und bildender Künstler. Er arbeitete mit und über Film und Fotografie, Grafik und Text, Fernsehen und Video, Musik und Performance, Architektur und Design, und vor allem mit und über Populärkultur, eine breite Palette von Medien und Genres, die er in unverwechselbarer Art und Weise miteinander verknüpfte. Seine Arbeit baute auf den Dialog mit Menschen und im Besonderen auf das Unterrichten. Er liebte es zu unterrichten, und das Beste wäre, wie er mir einmal anvertraute, an einem schönen Ort inmitten von Natur mit jungen Leuten in Workshops zusammenzuarbeiten. Aus seiner Tätigkeit am Nova Scotia College of Art & Design in den 1970er-Jahren ist eine Werkgruppe hervorgegangen, die ein ganzes Buch füllt.[1] Sein Wissensdrang und seine Neugier, die er trotz seiner Krankheit in Reisen für Vorträge und Projekte abdeckte, trieben ihn unermüdlich an. Dan Graham war eine unverwechselbare Persönlichkeit, der mich und viele andere mit seinem umfassenden Wissen gepaart mit anarchistischem Humor stets am Laufen hielt. Er war so etwas wie ein Rockstar der Kunst und tatsächlich gründeten sich Bands wie Sonic Youth auf Dan Graham hin.

Mitte der 1960er-Jahre, nach seinen (finanziell gescheiterten) Anfängen als Galerist der John Daniels Gallery in New York City, wo er Künstler wie Donald Judd, Dan Flavin, Robert Smithson oder erstmals Sol LeWitt ausstellte, begann er selbst künstlerische Arbeiten für Zeitschriften zu entwickeln. Mit diesen heute legendären Werken gelang es ihm, den üblichen Mechanismus von Ausstellung und Anerkennung über Kunstkritiken kurzzuschließen. Schema (1966) beispielsweise, das ich 1995 für die Tageszeitung Der Standard im Rahmen eines Projektes des museum in progress ausarbeiten durfte, ist ein konkretes Gedicht, komponiert aus den spezifischen Bestandteilen einer Zeitung, von den Worttypen über die Typografie bis zum Papier. „What I wanted to do with them in magazine pages is do something like a pop song, disposable and very fast.”[2] Selbst in New Jersey aufgewachsen, begann Graham die Siedlungen der Vorstädte New Yorks mit der Kamera und in ihren baulichen Schemata zu studieren. Homes for America (1966-67) wurde zunächst als Diaprojektion und kurz darauf als doppelseitiger Foto-Text-Essay in der Zeitschrift Arts Magazine veröffentlicht. Graham wurde zum „soziologischen Kritiker“ der Minimal Art erklärt, was er persönlich gerne als „Missverständnis“ abtat.

Die Auseinandersetzung mit Raum und Zeit in Verbindung mit optischen Medien führte in zahlreichen experimentellen Filmarbeiten und Performances zum Einsatz des eigenen Körpers, und schließlich über Spiegel auch mit dem Publikum. Das Optische und bestimmte Medien und Materialien rückten zunehmend ins Zentrum wobei Graham stets die Seiten davor und dahinter berücksichtigte, sei es die Kameralinse, das Kino mit Projektionsleinwand und Publikum oder seine Glaspavillons, die er bis zuletzt entwickelte. Sein New Design for Showing Videos (1995), entstanden für seine Werkschau in der Generali Foundation in Wien, ermöglicht die Präsentation von Videos im Ausstellungsbereich unter Betonung von gruppendynamischen Aspekten.

Dan Graham, der nie eine Kunstschule besuchte aber unglaublich belesen und informiert war, nannte den Nouveau Roman als wichtigen Einfluss und betrachtete sich selbst als Schriftsteller und seine Arbeit als „Poetry of Banality“. Von Dan Graham habe ich gelernt, und ich bin sicher nur eine von vielen, wie ich mich in der urbanen Welt zurechtfinde, wie ich diese kritisch, aber humorvoll lese und mir als Material aneigne. Er war jemand, der gerne die Arbeit anderer ins Licht rückte, mit Vorliebe Künstlerinnen, und liebte es, Menschen zu vernetzen, sei es über deren Sternzeichen und über ein lustiges T-Shirt.

Meine Anteilnahme gilt der Familie von Dan, insbesondere seiner Frau Mieko Meguro, Künstlerin und Galeristin, die in den letzten Jahren dafür gesorgt hat, dass wir von Dan lernen konnten.

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[1] Dan Graham. Video-Architecture-Television. Writings on Video and Video Works 1970-1978. Ed. Benjamin H.D. Buchloh, The Press of the Nova Scotia College of Art and Design, 1979.

[2] Dan Graham im Gespräch mit der Autorin s. Oral History Project at the Museum of Modern Art --> https://www.moma.org/research-and-learning/archives/oral-history

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Abbildung: Dan Graham am Maine College of Art, Portland, Maine, Foto Kenneth White © Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Mehr Texte von Sabine Breitwieser

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Dan Graham
Susanne Schettler | 22.02.2022 12:30 | antworten
Danke für den schönen Nachruf auf unseren Autor Dan Graham! Sein interessantes Buch "Video-Architecture-Television" ist bei uns als Original-Nachdruck erhältlich: www.lars-mueller-publishers.com/dan-graham-video

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