
Documenta-Bashing im vorauseilenden Gehorsam
Es begann mit dem Vorwurf des Antisemitismus: Ein zur Documenta 15 eingeladenes Kollektiv arbeite in einem Kulturzentrum, dass nach einem Antisemiten benannt sei. Und Beiratsmitglieder wie Charles Esche ständen dem BDS nahe. Eben darum handele es sich bei der Documenta um eine antisemitischen Propagandaveranstaltung. Denn politische Propaganda, so trat das wertkonservative Feuilleton flugs nach, würde von dem indonesischen Kollektiv ruangrupa in Kassel gezeigt werden, keine Kunst. Schließlich würde Kunst ja von Individuen gemacht, nicht aber von Kollektiven, die heuer gut 90% der Teilnehmerliste ausmachen. Dieser dümmliche Vorwurf ignoriert zum Beispiel sträflich, dass Gruppenarbeit bereits seit Jahrzehnten zum Kanon zeitgenössischer Kunst gehört und hat daher ebenso wenig Substanz wie der völlig überzogene Vorwurf des Antisemitismus - also muss schnell nachgeladen werden: Von bewusster Verschleierung des Umgangs mit Steuergeldern ist prompt die Rede und sofort wird, ein finanzielles Desaster unterstellend, mahnend daran erinnert, dass sich ja schon die letzte Documenta immens verschuldet habe. Vermeintliche Kunstkritik mutiert da zu einer um das Geld der Bürger besorgte Buchhalterei. Interesse oder gar Neugier was da im Sommer in Kassel aber tatsächlich künstlerisch passieren wird, sucht man vergebens bei diesem vorauseilenden Gehorsam. Denn um nichts anderes als um einen vorauseilenden Gehorsam handelt es sich hier: Brav und folgsam gehorcht dieses Documenta-Bashing letztlich einem altbürgerlichen Kunstbegriff, der Kunst immer noch versteht als so geniale wie lediglich ästhetisch relevante Schöpfung, die irgendwann einmal museumsreif ist. Aber eigentlich überrascht bei diesem Bashing nur Eines: Dass diese Hetze schon jetzt einsetzt. Die Angst vor der Documenta 15 scheint bei manchen recht groß zu sein.
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Abbildung: © documenta fifteen, Grafik Studio 4002