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Gego. Die Architektur einer Künstlerin: Die offene Zeichnung

Als Gertrud Goldschmidt wurde Gego in Hamburg geboren, in Stuttgart studierte sie Architektur, 1939 musste sie wegen ihrer jüdischen Herkunft nach Venezuela emigrieren. Dort begann sie dann Mitte der 1950er Jahre ihre künstlerische Laufbahn. Im Mittelpunkt ihrer meist abstrakten Arbeiten steht das Verhältnis von Raum und Fläche, eine Fragestellung also, die sich fast schon folgerichtig aus ihrer Ausbildung als Architektin entwickelt hatte und die sie in Skulpturen und Zeichnungen, später auch in künstlerischen Textilien und Rauminstallationen auszuloten suchte. 1994 starb Gego in Caracas.

Die spielerisch, ja experimentell von Gego zunächst vor allem auf Papier in unterschiedlichen formalen Grammatiken durchkonjugierte Linie hat Gego ihr künstlerisches Leben lang fasziniert. Die Zeichnung war daher gleichsam das Herz ihrer Kunst. So bezeichnete sie dann auch selbst ihre raumgreifenden Skulpturen einmal als „Zeichnungen ohne Papier“. Auf dem ersten Blick scheinen Gegos abstrakt-minimalistische Arbeiten auf Papier strengen mathematischen Regeln zu gehorchen, der zweite Blick aber macht dann immer wieder klar, dass die Künstlerin diese vermeintlich objektiven Vorgaben wohlkalkuliert unterläuft, um so dezent-poetische Bild/Raumwelten zu gestalten.

Gegos Raumobjekte erinnern an filigrane Netze, deren Stränge zu rhizomatischen Strukturen verknüpft zu sein scheinen. Die Linie wird hier quasi zu so etwas wie einem „drahtigen“ Objekt. Verknotet mit anderen Objektlinien definieren diese dann ein dreidimensionales Feld, das, ganz im Sinne von Umberto Ecos Begriff des „offenen Kunstwerkes“, nicht nur die eigene künstlerische Konstruktion offenlegt, sondern vor allem eine unendliche Möglichkeit von Blickpunkten eröffnet. Und auch die Blicke durch diese Arbeiten hindurch ist eine Option, die dazu beiträgt, dass dem Betrachter hier eben keine feststehende Interpretation vorgeschrieben ist, vielmehr ist da eine nicht enden wollende Rezeptionsarbeit mit offenem Ausgang gefragt. 

Gerade heute, wo der traditionelle Werkbegriff immer mehr durch die Notwendigkeit von projektbezogener Kunst in Frage gestellt wird - die vor der Tür stehende Documenta wird wohl beispielhaft hierfür sein - kann eine spannende historische Position wie die von Gego uns an die Perspektiven erweiternden Optionen einer zwar „offenen“, aber immer noch werkorientierten Ästhetik erinnern.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Gego. Die Architektur einer Künstlerin
19.02 - 10.07.2022

Kunstmuseum Stuttgart
70173 Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1
Tel: +49 (0) 711 – 216 21 88, Fax: +49 (0) 711 – 216 78 20
Email: info@kunstmuseum-stuttgart.de
http://www.kunstmuseum-stuttgart.de
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Fr 10-21 h


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