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Artreview Power 100 – Verloren im Metaverse?

Endlich ist die Menschheit im Metaverse angekommen! Das insinuiert zumindest die aktuell veröffentlichte Liste der einhundert „most influential people in art“, die von der Kunstzeitschrift Art Review jährlich veröffentlicht wird. Auf Platz eins findet sich nämlich keine „einflussreiche Persönlichkeit“ der Spezies Mensch, sondern ein ephemeres „Stück“ Computercode, das bei vielen Protagonist:innen der Kunstwelt ihrer Medien zuletzt durchwegs Schnappatmung ausgelöst hat: ERC-721, jenes Protokoll, das die Erstellung von NFTs auf einer Blockchain steuert und somit erstmals Eigentumszertifikate für digitale Kunstwerke und Sammlerstücke ermöglicht hat. Die Kunstwürdigkeit diverser digitaler Hervorbringungen wurde zwar oftmals hinterfragt, aber in den vergangenen beiden Jahren, jagte eine Rekordpreis-Meldung die nächste, und das wird im globalen Kunst-Auktions-Markt wohl so bleiben.

Prinzipiell sind NFTs ja eine großartige Entwicklung, lösen sie doch das bisher größte Problem der Computerkunst, wenn es um ihre Vermarktbarkeit ging, nämlich die Möglichkeit ihrer beliebigen Vervielfältigung. Ein NFT als digitales Eigentumszertifikat ist nicht kopierbar und damit einzigartig, unabhängig davon, wie oft etwa ein digitales Bild kopiert wird. Die Tatsache, dass ein NFT immer mit einem Wert in einer Kryptowährung verknüpft ist, eröffnet außerdem ein breites Spektrum an Ideen für Finanzinvestitionen, und das weitgehend unreguliert und vor allem anonym. Kunst jenseits ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Wirkung als reines Spekulations- und Anlagetool ist ein perfect match für eine Kunstindustrie, in der viel Geld investiert werden will.

Dass die Nummer eins der Liste nicht an eine Einzelperson vergeben wird, hat schon ein wenig Tradition, denn 2020 war die weltweite Bewegung der „Black Lives Matter“ auf Nummer Eins.

Quasi als Ausgleich dazu ist wohl die Nummer zwei auf der Liste gedacht. Die Anthropologin Anna L. Tsing hat mit ihren transdisziplinären Forschungen zum Anthropozän und ihrem Roman „The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins” das Verhältnis des kapitalistischen Warensystems und den Prozessen der Natur thematisiert.
Nach ihr folgen viele Persönlichkeiten, die jedenfalls großen Einfluss auf die aktuelle Kunstszene haben. Ruangrupa, das Karrabing Film Collective, Forensic Architecture, Kisler-Preisträger Theaster Gates, Anne Imhof, Hito Steyrl, Gagosian & Wirth und – aus österreichischer Sicht erfreulich - die Leiterinnen der Kunsthalle Wien Ivet Ćurlin, Nataša Ilić, Sabina Sabolović die mit Ana Dević das Kollektiv WHW bilden.

Mit dem letzten Platz wollte die geheime Jury offenbar den Kreis zum ersten Platz wieder schließen, anders ist die Wahl kaum zu erklären: Mark Zuckerberg, der sein Facebook-Instagram-Imperium erst jüngst in „Meta“ umbenannt hat, soll ausgerechnet dafür stehen wie Kultur und Kunst in Zukunft erlebt werden könnten. Der Gründer jener Plattform, auf der wahrscheinlich aus bigotter Prüderie mehr Kunst zensiert wurde als in den Jahrhunderten davor, soll seine Hater-Algorithmen also zum Wohle der Kunstliebhaber:innen einsetzen. Selbst technisch versierte Kommentator:innen erwarten erste Umsetzungen eines Zuckerberg-Metaversums frühestens in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts. Also scheint die Wahl wohl etwas verfrüht und weckt Erinnerungen an die Vergabe des Friedensnobelpreises an Barack Obama 2009, die auch mehr mit Hoffnungen an die Zukunft als mit konkreten Handlungen begründet wurde.

Der Facebook-Meta-Konzern ist strikt darauf ausgerichtet, mit den Interaktionen seiner Nutzer:innen ein Maximum an Profit zu generieren und diese so eng und so lange wie möglich an die Plattform zu binden. Wenn dieses System auf die Kunstwelt angewendet wird, dann wird Mark Zuckerberg der mächtigste Kunsthändler der Welt, der in undurchsichtigen Prozessen die Gemeinschaftsregeln dafür festlegt, welche Kunstformen von den Algorithmen für sehenswert befunden werden. Dystopischer kann man sich die Zukunft der Kunstwelt kaum vorstellen.

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Abbildung: Nyancat im Facebook-Metaverse

Mehr Texte von Werner Remm

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