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Aufbrüche. Künstlerinnen des Art Club: Die neue Freiheit: Feminismus auf den Spuren von Primitivismus und Kolonialismus

Die feministisch-avantgardistische Kunst in ihren vielen Schattierungen feiert nach Jahrzehnten der Ignoranz derzeit in den österreichischen Kunstinstitutionen, endlich auch außerhalb von Wien, ein willkommenes Comeback. Die Landesgalerie Niederösterreich in Krems zeigt das Schaffen mehrerer Künstlerinnen, die dem legendären Art Club Wien angehörten. Es wird dabei versucht, aus heutiger postkolonialer Perspektive die noch viel zu wenig erforschte Nachkriegszeit neu zu beleuchten.

Der Internationale Art Club (gegründet 1947), der unter den 64 Mitgliedern zwölf Künstlerinnen nennen konnte, galt zu seiner Zeit als begehrter Künstlertreff und veritabler Ausstellungsinitiator in Wien. Obwohl die Künstlerinnen die Minderheit bildeten zählten sie, wie Maria Biljan-Bilger zu seinen Mitbegründerinnen. Biljan-Bilger und z.B. auch Susanne Wenger oder Greta Freist hatten schon einige Jahre des aktiven Widerstands gegen die Nazidiktatur hinter sich. Kein Wunder also, dass nach dem Krieg viele der weiblichen Kunstschaffenden vom Gedanken der neuen Freiheit, der Gleichbehandlung der Geschlechter und der Emanzipation von den patriarchalen Strukturen äußerst eingenommen waren. Aus dieser vielseitigen Motivation heraus suchten die neuen Protagonistinnen der Wiener Kunstszene im künstlerischen Akt des Werdens als einem ständigen Prozess der Veränderung das, was Gilles Deleuze als Differenz beschrieb. In diesem Sinne wurden nicht nur Sujets, Genres, Autonomie über den eigenen Körper, sondern auch Kunsttechniken und Kunststile neu verhandelt und positioniert. Nationalsozialismus und Realismus in der Kunst wurden durch die internationale, „gemeinsame Formensprache“ des Kubismus, Surrealismus oder der (Semi)-Abstraktion ersetzt und individuell dekliniert: Eine Entwicklung, die man in der Ausstellung anhand der an der französischen Moderne orientierten Bilder von Greta Freist, Maria Szeni oder der bis dahin weniger bekannten Hilda Carla Polsterer verfolgen kann. Die ausführliche Ausstellung spannt den Bogen aber noch weiter: Die Kunst der einst „primitiv“ genannten, außereuropäischen und durch eine dominierende Muttergöttin charakterisierten, prähistorischen Gemeinschaften, die hierzulande als „terra incognita“ galt, diente  Biljan-Bilger in tänzerischem Flow erfassten Terracotta-Skulpturen und Susanne Wenger, die 1950 nach Nigeria auswanderte, in ihren diversen Arbeiten als wichtigste und authentische Inspirationsquelle und als Argument gegen das westliche Patriarchat. Wengers während des Krieges entstandene Buntstiftblätter „Traumgesichte“, die in Analogie zu Kafka die Verwandlung des Menschen in ein wildes Tier imaginieren, stellen ausnahmsweise hervorragende Beispiele des einheimischen Surrealismus dar, aus einer Zeit, als dieser als „entartet“ diffamiert wurde, und wie die Ausstellungskuratorin Brigitte Borchhardt-Birbaumer im Katalog bemerkt, sind sie zugleich Vorboten des kosmischen Symbolismus.

 Eine der Innovationen, die den Künstlerinnen des Art Club zu verdanken ist, und die in der Ausstellung anhand ausgezeichneter Exponate belegt wurde, ist die Textilkunst: Aus den 50ern stammen eine abstrakte Tapisserie von Grete Yppen und u.a. der prächtige figurative Gobelin Altes und neues Wien von Maria Biljan-Bilger, wobei auch Hilda C. Polsterer in Paris mit gemalten Wandteppichen reüssierte. Gebunden an den Art Club, aber nicht Mitglied war die Malerin Maria Laßnig (so schrieb die Künstlerin damals ihren Namen), heute weltberühmt. Im Gegensatz zu anderen Kolleginnen scheute die junge Kärntnerin nicht, in die männliche Kunstdomäne vorzudringen und deren gestisch-hektische Sprache durch nachdenkliche „freie psychische Ausweitung“ der Formen zu durchkreuzen. In Krems bekommt man als Stimme der damaligen Gegenöffentlichkeit die Rekonstruktion von Lassnigs Einzelausstellung zu sehen, die 1952 auf Einladung des Art Clubs im "Strohkoffer" stattfand; in der mit Schilfmatten ausgekleideten Heimstätte des Vereins unter der Loos-Bar. Einleuchtend!

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Aufbrüche. Künstlerinnen des Art Club
16.10.2021 - 06.03.2022

Landesgalerie Niederösterreich
3500 Krems, Museumsplatz
Tel: +43 2732 908010
Email: office@lgnoe.at
http://www.lgnoe.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h


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