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Art Basel: Mit angezogener Handbremse ins Ungewisse

Die Art Basel simuliert Normalität, auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass kaum etwas so sein wird wie vor der Pandemie. Die aktuelle Ausgabe ist für den Veranstalter und Aussteller herausfordernd, für Besucher:innen jedoch eine Wohltat.

So äußerlich entspannt war in diesem Jahrtausend noch keine Art Basel. Keine Schlangen, kein Gedränge, gesprächsbereite Galeristinnen und Galeristen, freie Sitzplätze in allen Ruhezonen und den Gastronomiebereichen – Corona macht's möglich. Für die Galerien und die Art Basel ist die aktuelle Ausgabe wirtschaftlich herausfordernd. Die Messe Schweiz, ohnehin arg gebeutelt, muss bei dieser Rumpfausgabe gehörige Einnahmeverluste verkraften: Fast alle Corporate Lounges sind aus der VIP-Lounge verschwunden, für wurde ein mit 1,5 Millionen Franken ausgestatteter Solidarity Fund eingerichtet, aus dem Galerien eine konditionslose Rückerstattung beantragen können, und die Ticketeinnahmen dürften massiv einbrechen.

Die Aussteller müssen weitgehend ohne Gäste aus (Nord-, Mittel- und Süd-) Amerika und Asien auskommen. Das schlägt unmittelbar auf das Kaufverhalten durch. Nicht nur fehlen deren Umsätze, auch die anderen Sammlerinnen und Sammler haben es plötzlich gar nicht mehr so eilig. Da die schnellentschlossenen Käufer:innen aus der Neuen Welt mit ihren Spontankäufen nicht drohen, die besten Stücke schon kurz nach der Eröffnung wegzuschnappen, können sich die Europäer:innen Zeit lassen. Und noch ein Phänomen zieht sich quer durch die Hallen: Selbst Mega-Galerien berichten von geringem Interesse für Objekte des Secondary-Segments. Gekauft werde vor allem aktuelle Produktion oder aus Nachlässen, die ebenfalls dem Primärmarkt zugerechnet werden. Das überrascht nur auf den ersten Blick. Zwar gilt aktuelle Kunst als risikoreicher als abgesicherte Positionen. Doch darf nicht außer gelassen werden, dass auf der Basel nicht gerade Cutting Edge verhandelt wird. Zudem ist dieses Segment preiswerter und daher eher für europäische Budgets geeignet.

Wenn die Kunst ein Spiegel der Gesellschaft ist, wie immer wieder gerne behauptet wird, dann ist der Vogel Strauß ihr Wappentier. Als hätte sich in den letzten anderthalb Jahren die Welt nicht dramatisch verändert, spielen die krisenhaften Entwicklungen in der aktuellen künstlerischen Auseinandersetzung scheinbar keine Rolle, zumindest nicht auf der Art Basel.
Politik und Gesellschaft kommen hier fast ausschließlich nur vor, wenn sie mit gender und race zu tun haben. Die Zerstörung des gesellschaftlichen Diskurses und Zusammenhalts durch den Trumpismus und seinen woken Widerpart, die desaströsen Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Klimakatastrophe – alles anscheinend keine Themen. Zu den ganz wenigen Ausnahmen gehören die Arbeiten von Grayson Perry, der auf Landkarten nachempfundenen Schaubildern eine Fülle von gesellschaftlichen Phänomenen verarbeitet. Seine Auflagenarbeiten – Teppiche oder Drucke – werden von Paragon aus London vertrieben. Gleichzeitig erweist sich sein Werk allerdings eher als Teil des Problems denn als Teil der Lösung. Sein großformatiger „American Dream“ kostet in einer 68er Auflage 66.000 Euro pro Stück. Die Schnittmenge der möglichen Kund:innen mit den in der Arbeit angesprochenen Menschen dürfte überschaubar sein. Diese Schieflage zeigt sich auch in dem Engagement der UBS, die in ihrer extrem exklusiven VIP-Lounge Kunstwerke präsentiert, die sich mit Ungleichheit und Umweltzerstörung beschäftigen. Die Kunstsammlung soll anscheinend als Ausdruck des Anlageverhaltens des Konzerns verstanden werden, der stolz darauf ist, das Investment in nachhaltige Assets im letzten Jahr um 121 Prozent gesteigert zu haben. Die Liste prominenter Künstler, die sich für dieses Artwashing hergeben, ist beeindruckend.

Dröhnendes Schweigen herrscht beim Veranstalter bei dem Thema, das wie kaum ein anderes den Kunstmarkt des letzten halben Jahres beherrscht hat: NFTs. Während auf den entsprechenden Plattformen Milliardenumsätze gemacht werden, ohne dass von einer wie auch immer gearteten Instanz die Grenze zwischen Collectibles und Kunst gezogen würde und sich ein komplett neuer Markt entwickelt, unternimmt die Art Basel: gar nichts. Auf die Frage, ob die Art Basel im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie einen NFT-Marktplatz aufbauen werde, antwortet Messdirektor Marc Spiegler so viel- wie nichtssagend: „Wir kündigen neue Initiativen niemals an, bevor sie nicht konkret sind.“ So bleibt es einzelnen Galerien überlassen, der neuen Vertriebsform – die allmählich auch eine eigene Art von Werken hervorbringt – den Weg in den traditionellen Kunstbetrieb zu bereiten. Vorreiter ist hier die Galerie Nagel Draxler (Berlin/Köln/München), die zusammen mit dem Autor/Händler/Sammler/Künstler Kenny Schachter an ihrem Stand einen „Krypto Kiosk“ mit Arbeiten von neun Künstlerinnen und Künstlern (darunter Schachter selbst) eingerichtet hat.

Die aktuelle Art Basel vermittelt einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits scheinen alle froh zu sein, eine Rückkehr zum Business as usual simulieren zu können. Anderseits ist klar, dass die Welt im Allgemeinen und der Kunstmarkt im Besonderen vor einem gewaltigen Umbruch steht und dass niemand weiß, wohin die Reise geht. May you live in interesting times.

Mehr Texte von Stefan Kobel

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Art Basel
22 - 26.09.2021

Art Basel
4005 Basel, Messe Basel, Messeplatz Halle 1 und 2
http://www.artbasel.com


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