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Lois Renner 1961 - 2021

Keine Figur hat es ihm mehr angetan. In seinen Bildern wird sie zum Sinnbild und Scharnier: der »Barberinische Faun«. Die antike Skulptur eines muskulösen Mannes wird im Graben der Engelsburg gefunden. Niemand geringerer als Gian Lorenzo Bernini kümmert sich um die künstlerische Wiederherstellung. König Ludwig von Bayern erwirbt sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts, seitdem steht sie in der Münchner Glyptothek. Der Faun liegt mit dem Rücken an ein Felsstück gelehnt, womöglich schlafend. Den rechten Arm hat er über den Kopf gelegt, die Beine frivol gespreizt. Lois Renner nimmt das Motiv in seine Bildwelten früh auf, zuerst in Gemälden, später in Skulpturen. Eine der letzten Serien nennt sich in einem Wortspiel »BARBARENNER FAUN«. Dort erscheint die Skulptur als weiß polierter, aalglatter Gips. Der Faun ist nicht Zitat, sondern “Repräsentant der zeitgenössischen Welt”, so Renner. Darum wird der Schlafende auch nicht auf einem musealen Sockel, sondern auf einem Metallgerüst platziert. Präzise, aber fragile Profile aus Alu tragen ihn. Daneben breitet sich eine Draperie aus, ein Vorhang vielleicht oder auch ein Lappen, um den Pinsel zu reinigen? In dem Foto eröffnet sich ein kahler Raum, in einer hellen Ecke wartet ein Gerät mit Hanteln. Wo befinden wir uns? In einem geschlitzten Studio von Gordon Matta-Clark, in einer lichtvollen Restaurierwerkstatt, einem gebastelten Gym, einem Loft großstädtischer Bohème oder in dem modernisierten Atelier eines Malerfürsten? Maßstabverzerrung und verfremdende Elemente provozieren den Blick. Wie verzahnen sich Wirklichkeit und Erfindung? Dazu tritt eine Inkompatibilität der Gegenstände, eine Konfusion qualitativer und quantitativer Größen. So erscheint der laszive Nackte der Antike als Abbild des gegenwärtigen Körperkults. Sind nicht definierte Muskel Strategien der Skulptur? Und umgekehrt: die Fotografie, die den Innenraum aufzeichnet, der Inbegriff sachlicher Unverlässlichkeit?

Lois Renner spielt wie ein Surrealist mit räumlicher Engführung und ungewohnter Nachbarschaft. Historische Gemälde erscheinen auf Fotografien. Sie zeigen Einblicke in Renners Ateliers in Wien und in Salzburg. Die Fotos dokumentieren real existierende Arbeitsräume, die sich in eine kühne Mise-en-Scène verwandeln. Velázquez, Rubens, Warhol werden spielerisch vereinnahmt. Renner malt auf dem Rücken von Riesen, die er dafür in kleine Kammern steckt. Täuschend echte Dioramen entstehen, aufgelockert durch Bildwitz und barocke Wucherungen. In seinem Kühlschrank – dem einzigen wahrhaften white cube – bewahrt er die Fotografien auf, anfangs auch die Polaroids, mit denen ab den frühen 1990er Jahren vorbereitende Bildnotizen entstehen. Auf Regalen sammelt er Kopien unzähliger Gegenstände. In mühsamer Detailarbeit bastelt Renner Requisiten und Inventar: Fensterläden, Staffeleien, Leitern, Scheinwerfer, Werkzeug, Malutensilien und am Erstaunlichsten: Gemälde. Die meisten im Maßstab 1:10. Renner zeigt seine Begabung für den Modellbau und Kunstformen, die seit dem Barock fast vergessen sind: die Ölskizze und der Bozzetto. Er erlernt die faszinierenden Fähigkeiten bei Gerhard Richter, bei dem er studiert. Von Richter übernimmt Renner auch die Überlegung, dass die Größe eines Ateliers die Formate prägt. Wer sich monumentale Raumhöhen nicht leisten kann, baut Modelle und fügt Bilder in kleine Bühnen und erspart sich die monumentale Breitpinselvision. Wer Renner aufsucht, findet ihn konzentriert mit Blick durch den Lichtschachtsucher der Hasselblad. Er würzt den Blick auf die gerasterte Fläche mit Selbstironie und linkischem Humor. Am Ende erscheint eine Welt en miniature, gebannt auf einer digital kristallinen Fläche. In einer künstlerischen Dialektik quellen Erfindungen zu malerischen Abenteuern, gestochen scharfe Bilder versetzen sie in einen ewigen Schlaf. Malerei ist entfesselter Eros, Fotografie wie Hypnos und Thanatos.

1992 erhält Renner den Otto Mauer Preis. 1994 ist er Artist in Residence an der Neuen Galerie in Graz. Dort lerne ich ihn kennen, später arbeiten wir für die Ausstellung »Formalismus«. Die Schau gemeinsam mit Roland Goeschl und Heimo Zobernig findet 1997 in den Räumen des Oberen Belvedere statt. Das barocke Ambiente beflügelt Renners Esprit. Das Kunsthaus Bregenz zeigt die erste große Einzelausstellung. Edelbert Köb lädt Renner im Jahr 1998 ein. Auf die Fassade zum See lässt Renner seinen Namen schreiben, der Kubus wird zum provisorischen Modell. Es folgt eine internationale Laufbahn. 2o17 erscheint ein Werkverzeichnis im Zusammenhang einer Retrospektive im Salzburg Museum. Renners Werke befinden sich in den genannten Institutionen, zudem im mumok, im museum kunst palast Düsseldorf, im Museum Abteiberg in Mönchengladbach, in der Kunsthalle Karlsruhe und in vielen anderen mehr.

Am Samstag, dem 21. August 2021, stirbt Lois Renner in seinem 60. Lebensjahr während einer Wanderung am Untersberg bei Salzburg.

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Abbildung: Lois Renner, Lois und der Faun II, 180x240 cm, C-Print

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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