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Bayreuth: Richard Wagners Walküre abstrakt inszeniert von Hermann Nitsch

Der Aktionskünstler Hermann Nitsch wurde eingeladen Richard Wagners Walküre, die in diesem Jahr Corona bedingt als Solitär und konzertant aufgeführt wird, mit einer Malaktion in drei Akten zu interpretieren. Nun ist Nitsch dafür bekannt, dass er mit seinem Orgien Mysterium Theater (o.m.t) selbst ein Gesamtkunstwerk schafft, für welches er im wahrsten Sinn des Wortes die Partitur schreibt – Handlung, Musik und Regie. Das verbindet ihn mit Richard Wagner, der ebenfalls seine Opern bis ins kleinste Detail dichterisch, musikalisch und theatralisch selbst inszenierte. Neben dem Hang zum Gesamtkunstwerk verbindet die beiden auch die Leidenschaft zur Mythologie und Mythen, Religion und Sakralität, in denen alle Schattierungen des Lebens schicksalhaft miteinander verbunden sind, Lust und Leid, Liebe und Hass, Gewalt und Tod.

Dass die farbenreiche Musik Wagners den Synästhetiker Nitsch inspirieren musste, steht außer Frage. Schließlich weiß man schon seit seiner unvergesslichen Malaktion der Johannes Passion von Johann Sebastian Bach an einem Karfreitag in der Sezession in Wien, wie beeindruckend Nitsch Klang und Rhythmus einer Musik, ihre Farbschattierungen in Farbräume umsetzen kann. Damals war er der Hohe Priester, heute ist der Dirigent, der im Orchestergraben sich von der Partitur für das Gerüst der Malaktion inspirieren lässt und den Farbauftrag spontan während der Aufführung live mitdirigiert. Nitsch, der ursprünglich an eine farbliche Umsetzung der Musik dachte, ließ sich letzten Endes immer mehr auf die Handlung der Walküre ein ohne dabei eine Einengung für seine Malerei zu verspüren. Was dabei entsteht, ist ein Bühnenwerk.

Beim Eintreten gibt der offene Vorhang den Blick frei auf eine dreiteilige wandhohe, weiße Leinwand, die den Aktionsraum eingrenzt. Am Boden, eine quadratische Leinwand, links und rechts davon Farbeimer, davor Stühle für die Sänger. (Abb. 1)

Das Orchester setzt an, die Sängerinnen und Sänger treten ein, in schlichten schwarzen Kutten gekleidet, gleichzeitig auch zehn Malkakteurinnen und -akteure, alle in Weiß, fünf unten und fünf über die Leinwand. Die Stimmen suchen sich, die ersten Farbspuren drippen vom oberen Rand. Am Boden wird geschüttet. Die Farbgegensätze überlagern sich und werden später auch teilweise mit Besen oder mit den Fingern verteilt. Langsam entsteht ein Farbteppich. Er ist zur Malerei was das Orchester zur Musik ist, das Ensemble. Die im Raum aufgestellte dreiteilige Leinwand folgt ganz anderen Entstehungskriterien: Hier fließt die minutiös aufgetragene Farbe in feinen Farbstreifen, manchmal nur ein paar Zentimeter weit, manchmal bis zum Boden. Man begreift schnell, dass auch die Geschwindigkeit und die Menge des Auftrags dem Rhythmus der Musik und der Stimmen folgen. Die Farbwahl untermalt die inneren Stimmungen. Während Siegmund seine Lebensgeschichte erzählt beherrschen das helle Grün der Hoffnung und das Blau der Stärke die Szene (Abb. 2), um sich im Liebesduett zwischen ihm und Sieglinde in heftiges, pastoses Rot zu verwandeln, ein Rot der Leidenschaft aber auch der Gewalt, die sich unterschwellig ankündigt. Ende des ersten Aktes. Der Vorhang fällt. Man bedauert das Bild nicht länger betrachten zu können. Aber gerade das verdeutlicht, wie sehr das Bildgeschehen mit Handlung und Musik verwoben ist.

Zweiter Akt: Während des Auftritts von Fricka, die von Wotan fordert, dass er den Hausfrieden von Sieglinde und Hunding schütze und Siegmund erliegen möge, färbt sich zunächst die Leinwand nur spärlich und kleinteilig in Taubengrau. Der Konflikt wird durch Schwarz, Gelb, Violett und Weiß ineinandergreifende Wellen, die sich zu heftig bewegten Sprechdiagrammen fügen, dargestellt. Wenn dann Wotan sein Herz bei seiner Lieblingstochter Brünnhilde ausschüttet, färbt sich die Leinwand Schwarz ein. Düster ist es in Walhall und es hellt sich zunächst nur mit dem kalten Gelb der Kritik, wenn Brünnhilde den widerwillig erteilten und ebenso empfangenen Auftrag erhält, Siegmund sterben zu lassen., (Abb. 3) Bis auf einen Blutschwall in der Mitte beherrscht Gelb die Fläche, wenn die Walküre Siegmund den Heldentod voraussagt. Die Weissagung wird durch das Auftreten von Akteuren unterstrichen – einer Gekreuzigten, die von vier Helfern aufgerichtet wird und mit roter Farbe übergossen. (Abb. 4) Vorne stehen Siegmund und Sieglinde, fast regungslos. Das Licht erlischt.

Dritter Akt: In einzelnen Strähnen rinnt während des Walkürenritts die Farbe die Wand herab. (Abb. 5). Im Gegensatz zu den beiden anderen Bildern, baut sich dieses langsam und kontinuierlich auf, nur in Rottönen und ihren Komponenten. Während der heftigen Vorwürfe Wotans an die Walküre, wird erstmals auch auf die große Leinwand geschüttet. Der Feuerwall entbrennt. Wenn Wotan sein Lieblingskind in den Schlaf wiegt, ist der Feuerzauber da, alles in leuchtendes Rot getaucht. Ihr Opfer wird szenisch durch eine am Boden liegende Gekreuzigte dargestellt, über die eine Monstranz gehalten wird – ein Symbol der Transformation. Der Vorhang fällt.

Es ist Nitsch gelungen die Aktion in abstrakter Weise bildlich darzustellen, das gesprochene Wort ebenso wie die Musik zu „illustrieren“. Ein großartiger visueller Eindruck, der auch musikalisch und stimmlich überzeugt.

Der Dirigent Pietari Inkinen führt klar und präzise, langsam, auf Harmonie bedacht. Er gibt den Sängern die Möglichkeit die Klangfeinheiten auszuarbeiten. Stimmlich überwältigend ist Lise Davidsen als Sieglinde. Sie ist dem jugendhaften und kräftigen Tenor von Klaus Florian Vogt emotional überlegen – von ihm hätte man sich im Liebesduett und in der Schwertszene mehr Leidenschaft gewünscht. Christa Mayer ist eine bestimmte und überzeugende Fricka, die Wotan Respekt einflößt. Er wird von Tomasz Konieczny gesungen, der kurzfristig für Günther Groissböck eingesprungen ist und einen überzeugenden Göttervater abgibt. Am Beginn des hochdramatischen dritten Aktes wird der Walkürenritt von gleich starken Walküren erfreulich einheitlich gesungen. Auch hier überstrahlt Lise Davidsens Sieglinde Irène Theorin als Walküre. Pathos und Lyrik bringt sie gleichermaßen vollkommen zur Geltung. Ungewohnt der lang anhaltende, vorwurfsvolle Ton Wotans beim End Duett mit Brünnhilde. Doch das vermag die gelungene Aufführung nicht zu trüben.

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Die Walküre wird am Donnerstag, den 19. August ein letztes Mal zu sehen sein
--> www.bayreuther-festspiele.de

Mehr Texte von Danièle Perrier

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