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Oliver Ressler - Barricading the Ice Sheets: Form als Lebensform

Nicht nur weil Oliver Resslers Ausstellung „Barricading the Ice Sheets“ zeitweise parallel zum steirischen herbst und seinem im Ausstellungstitel benannten Konzept des „the way out“ (aus dem institutionellen Kunstbetrieb) in Graz stattfindet, macht es Sinn, die (scheinbar) gegensätzlichen Strukturen beider Projekte miteinander zu vergleichen. Dieses vor allem aus zwei Gründen: Erstens zeigt Ressler seine Arbeiten im geschlossenen white cube des Ausstellungsraumes von Camera Austria, der „steirische herbst“ dagegen geht hinaus in den Öffentlichen Raum. Doch dieser Gegensatz löst sich dann insofern ein Stück weit auf, als Ressler in seiner Ausstellung Arbeiten vorstellt, die politische Proteste thematisieren, die sich ebenfalls außerhalb des Kunstbetriebes ereigneten. Zweitens steht bei Ressler explizit politisch-engagierte Kunst zur Disposition, beim „steirischen herbst“ dagegen sind die Arbeiten zwar ebenfalls oftmals politischer Natur, gehen aber selten über in einen direkten Aktivismus – was dann eben auch bedeutet: Beim „steirischen herbst“ hinterfragen zwar Künstler wie Thomas Hirschhorn und Hiwa K zum Beispiel ihre Rolle als Kunstproduzenten selbstkritisch, doch nie machen sie den Schritt, sich quasi „unterschiedslos“ in politische Bewegungen zu integrieren.

Ressler und seine Mitstreiter:innen dagegen gehen diesen Weg konsequent, so konsequent, dass oftmals der Kunstanspruch ihrer Arbeiten hinterfragt wird. Angesichts der Dringlichkeit des längst alles auf der Welt bestimmenden Problems der Klimakatastrophe drängt sich da die Frage auf, welche dieser beiden Strategien zielführend ist? Oder führen „beide Wege nach Rom“, haben also politische Wirksamkeit?

Im Zentrum von „Barricading the Ice Sheets“ stehen drei Filme, die der Künstler in den letzten zwei Jahren mit Unterstützung des Österreichischen Wissenschaftsfonds produziert hat. Da ist etwa der 21 Minuten lange Film „Everything’s coming together while everything’s falling apart“ zu sehen, der zeigt wie Klimaaktivisten unter anderem von „No Grandi Navi“ (Keine großen Schiffe) und „Friday for Future“ im September 2019 in Venedig in das Gelände des Filmfestivals eindrangen und neun Stunden lang dort den roten Teppich besetzten. Die Aktivist:innen, mitten unter ihnen der Künstler, nutzen so die vermeintliche „Weltöffentlichkeit“ des Festivals um über das totale Versagen der real existierenden Politik im Kontext der Klimakatastrophe aufzuklären. Die Vorbereitungen zu diesem Coup der Klimakämpfer:innen sind in dem Film ebenso abgelichtet wie Diskussionen im Vorfeld  und seine gelungene Ausführung. Schnell wird solch’ Kunst als bloß „dokumentarisch“ oder gar „agitatorisch“ abgetan und sicherlich ist sie dieses auch ein Stück weit. Doch zudem ist sie eben auch ein Beispiel für ein nicht nur humanistisches Engagement, das sich immer wieder ästhetischer Mittel bedient; ein Engagement, das Kunst als etwas begreift, das mehr ist als nur gelungene Form in Sinne von ästhetischer Könnerschaft. Form stellt sich stattdessen für Künstler-Aktivisten wie Oliver Ressler nicht zuletzt ganz konkret als die Art und Weise unseres Zusammenlebens und -arbeitens dar. Wie diese in Zukunft gerechter und lebenswerter aussehen und welche Rolle bei diesem Prozess Künstler:innen spielen könnten, genau dieses kann der Ausstellung bei konzentrierter Rezeption abgelesen werden, etwa wenn sie die Möglichkeiten eines „Grundeinkommens für Alle“ künstlerisch diskutiert oder wenn sie die Notwendigkeiten eines gewaltsamen Widerstandes bedenkt. Der „steirische herbst“ ist zumindest in dieser Hinsicht (noch) einen Schritt zurück. 

Mehr Texte von Raimar Stange

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Oliver Ressler - Barricading the Ice Sheets
04.09 - 21.11.2021

Camera Austria
8020 Graz, Kunsthaus Graz, Lendkai 1
Tel: +43(0) 316/ 81 555 00, Fax: +43(0) 316/ 81 555 09
Email: office@camera-austria.at
http://www.camera-austria.at
Öffnungszeiten: Di-Sa 10-17 h


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