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Mit Community Standards gegen die Gesellschaft

Die Grundsätze, nach denen Gemeinschaften ihr Zusammenleben regeln, sind die Basis für ein Miteinander, das die Wünsche und Bedürfnisse der Individuen innerhalb und außerhalb des jeweiligen Kollektivs nach Möglichkeit berücksichtigt und garantiert. Diese Regeln sind im besten Fall über längere Zeiträume in demokratischen Prozessen entstanden, in der Form von Kodexen oder Gesetzen niedergeschrieben und damit auch überprüfbar. In den heutigen Demokratien wacht darüber hinaus eine unabhängige Justiz über deren Entstehung, Einhaltung und Auslegung. Wichtig für funktionierende Demokratien ist außerdem, dass bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens größere Freiheiten eingeräumt werden als anderen, etwa der Lehre oder der Kunst. Demgegenüber stehen z.B. die Religionen, deren Gesetze dogmatisch von übergeordneten oft im Dunkel der Geschichte oder an anderen, unzugänglichen Orten verborgenen Wesenheiten festgesetzt wurden und von deren weltlichen Abgesandten exekutiert werden.

Recht ähnlich den Religionen funktionieren die modernen Communities, die mit dem Siegeszug der Sozialen Medien entstanden sind. Ihren „Standards“ haben sich alle Teilnehmenden zu unterwerfen, die sich die diversen digitalen Segnungen zunutze machen wollen. Die Festlegung und Entscheidung der Community Standards ist jedoch ein in hohem Maße undurchsichtiger Prozess und deren Durchsetzung, über die zuallererst von Algorithmen und danach vielleicht noch von Unbekannten hinter vielen elektronischen Schranken entschieden wird, ist immer wieder für einen Aufreger oder Kopfschütteln gut. Gerade die Kunst kommt immer wieder in Konflikt mit den US-amerikanisch prüden Moralvorstellungen der Netzwerke, während alle möglichen Verschwörungstheoretiker ihre absurden Theorien unter dem Primat der freien Meinungsäußerung absondern können. Erst die Ära Trump und die Flut an Unwahrheiten und „alternativen Fakten“ die vom Ehemaligen US-Präsidenten und seinen Anhängern in die Netzwerke eingespeist wurden, hat bei Twitter, Facebook und Co. zu einem Umdenken geführt, das schließlich in der Sperrung der Accounts Donald Trumps gipfelte.

Aktuellstes Opfer einer solch radikalen Sanktion ist der österreichische Künstler Oliver Ressler, der in vielen Ausstellungen weltweit mit seinen gesellschaftskritischen Videos vertreten ist. Aktuell arbeitet Ressler im Rahmen eines vom FWF – Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Forschungsprojektes „Barricading the Ice Sheets“, das die Klimakrise, die Klimagerechtigkeitsbewegung und ihr Verhältnis zur Kunst untersucht. Am 25. August wird im frei_raum im Wiener Museumsquartier die von Ressler kuratierte Ausstellung „Overground Resistance“ eröffnet, die in Kooperation mit dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten Österreichs entsteht - Projekte die definitiv frei von Verschwörungsgeschwurbel sind, sondern zum Nachdenken und Handeln anregen sollen.

Trotzdem wurde Ressler in einer knappen Nachricht von YouTube informiert, dass sein Account aufgrund „schwerer oder wiederholter Verletzung der Community Guidelines“ gelöscht worden sei. Gleichzeitig wurde auch sein Google Account mit zugehöriger E-Mail Adresse gelöscht. Die Verbreitung betrügerischer (scam) Informationen sei via YouTube untersagt, sowie dessen Nutzung „um unverlangte Werbe- oder kommerzielle Inhalte oder andere unerwünschte oder unzumutbare Belästigungen (Spam) zu verbreiten“ (siehe: https://www.youtube.com/t/terms). Damit sind 31 Videos aus den Jahren 2000 bis 2019 auf der Plattform nicht mehr abrufbar. „Es gab keine einzige Warnung oder Kommunikation mit YouTube“ schreibt Ressler in einer Nachricht an das artmagazine. Auf seine Versuche, mit YouTube und Google Kontakt aufzunehmen hat er bisher keine Rückmeldung erhalten.

Zwar verliert Ressler bis auf eine lange genutzte E-Mail-Adresse keine Inhalte. Seine Filme sind nach wie vor über seine Website ressler.at und über das Videoportal Vimeo verfügbar, doch „ging es immer auch darum, die Filme auch auf der größten Videoplattform der Welt und der zweitgrößten Suchmaschine der Welt verfügbar zu machen“, so Ressler.

In den Diskussionen rund um die Löschung des Trump-Accounts gab es Stimmen, die meinten, dass die Social Media Plattformen aufgrund ihrer marktbeherrschenden Stellung quasi gezwungen seien, alle Meinungen in ihren Netzwerken zuzulassen. Umgekehrt übernahmen die Plattformen damals in gewisser Weise demokratische Verantwortung, indem sie den schlimmsten Verschwörungstheoretikern einen Verbreitungskanal entzogen – immerhin auch gegen die Logik jener Algorithmen, mit denen Facebook, YouTube & Co ihr Geld verdienen. Dass nun auch Kunst gelöscht wird, die ihrer wichtigen Funktion der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemfeldern nachkommt, ist ein Ärgernis und zeigt einmal mehr, dass die großen Social-Media Plattformen in der Kunst mehr brauchen als eine langsam in die Gänge kommende Urheberrechtsreform. Google Arts & Culture präsentiert sich gerne als digitaler Vermittler für die großen (alten) Museen der Welt. Wenn diese Erde aber eine Zukunft haben soll, braucht es Künstler wie Oliver Ressler auf vielen großen Plattformen, damit diese mit ihrer Kunst ein Umdenken in der Gesellschaft initiieren können. Klimanotstand, Ausbeutung und bewaffnete Konflikte entziehen den Social Media Konzernen nämlich sonst demnächst die Geschäftsgrundlage.

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Abbildung: Oliver Ressler “Every round-trip ticket on flights from New York to London costs the Arctic three more square meters of ice”, Digital print on dibond, framed, 102,36 x 73,57 cm, 2019 (Visualization: estudio elgozo)

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Update 13. August 2021: Youtube hat den Kanal von Oliver Ressler nach den vielen Protesten wieder freigeschaltet: https://www.youtube.com/c/OliverResslerFilms/featured

Mehr Texte von Werner Remm

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