Werbung
,

Ines Doujak - Geistervölker: Kunsthall(e) of Fame? Rock the Museum!

In ihrer Ausstellung „Geistervölker“ in der Kunsthalle Wien recycelt die Österreicherin Ines Doujak auf konzeptuell-additive Weise ihre älteren Werke mit neuen installativen Projekten, Skulpturen und Filmen zu einer aufreizenden, grotesk-gruseligen und vielstimmig-performativen Erzählung aus der Perspektive der Kolonialgeschichte, die in der heimischen Kunst (-Szene) ihresgleichen sucht.

Beeindruckend ist zunächst das Themen- und Motivspektrum dieser ausgesprochen prekären und bösen Sensationen, die von der demütigenden Ausbeutung der afrikanischen Bevölkerung über die Verseuchungen indigener Völker bis zum skrupellosen Landraub durch gewinngierige Kolonialmächte handeln, und die - wie es in der Publikation zur Ausstellung heißt - „globale Wirtschaftskreisläufe von (kapitalistischer) Produktion, Konsum und Ausbeutung mit der aktuellen Pandemie verknüpfen“ und konsequent zu Ende denken. Im Fokus von Doujaks spielerisch-dystopischem Pluriversum und dessen kunstkammerartiger Präsentation steht nach wie vor der (menschliche) Körper: die Erforschung seiner Archäologie, der Metamorphosen und seiner zukunftsweisenden Elastizität. Bereits 2017 zeigte die interdisziplinär arbeitende Künstlerin im Rahmen der Wiener Festwochen ihre Collagenreihe und die Performance Skins, in denen sie in Anlehnung an einen medizinischen Atlas aus dem 20. Jahrhundert auf einer ästhetischen Ebene wuchernde Missbildungen der Menschenhäute fantasievoll mit Flora und Fauna verschränkte und politisch in gemeinsam mit John Barker verfassten Texten die ausbeuterische Praxis des Kolonialismus offenlegte. Einige dieser Collagen eröffnen die aktuelle Ausstellung.

Weiter geht es in Einzelkapiteln die aufeinander bezogen sind. Gleich eingangs thront ein postapokalyptischer Turmbau zu Babel als gegenwärtige Ikone des globalen Warenhandels. In Erinnerung an das Bauhaus heißt diese modernistische Hocharchitektur Bauhütte (monumentale Instabilität) und ist zugleich eine Referenz an den nie zustande gekommenen Palast der Sowjets (1932). Aus unzähligen fragilen papierenen Warenverpackungen aufgebaut, verinnerlicht sie die launenhafte Logik des Weltmarktes, dem alles im expansionssüchtigen Kapitalismus unterworfen wird. An ihrer Spitze steht ein stolzer Astronaut mit einer Schaufel in der Hand, ein Symbol, das weiterhin nichts Gutes für die heutige Klimakrise verheißt. Aufgrund zahlreicher Beschädigungen durch diverse Transportmittel verharrt dieser hyperkommerzielle Skyscraper, nicht unähnlich unserer Gesellschaft, im fieberhaften Stillstand: Zwischen Doujaks Wappen-Mustern in Form der Stofffahnen, die für das bedrohliche imperiale Projekt one belt one road - die neue Seidenstraße stehen und für die natürlichen Ressourcen verschwendende Kleiderindustrie samt ihrem Fashion-Wahn. Die beiden werden wiederum von rebellischen Plünderern („Looters“) alias Bad Boys bedroht und bestohlen: What you gonna do when we come for you ist auf der Rückseite einer Jacke zu lesen, die in der für die Show nachgebauten Boutique hängt – ein willkommenes Zitat von Bob Marleys subversivem Hit und Modell der kapitalistischen Vereinnahmung.

Chronische Krankheiten und dauerhafte Malaise als Ausdruck einer gravierenden globalen Schieflage charakterisieren die Kunst der Kärtnerin; ihre neuen bunt bedruckten Stoffe sind diesmal nichtdestoweniger humorvoll mit lästigen Fliegen dekoriert. Und auch sonst gibt es nichts, was für Ines Doujak zu peinlich oder untastbar wäre, wenn es um Schuldzuweisungen an die Mächtigen dieser Welt geht oder um darauf hinzuweisen, was einem oder einer körperlich ekelhaft vorkommt und sozusagen den Magen umdreht. Ihre sich partiell in Endlosschleife bewegende rosafarbene Skulptur einer weiblichen Figur (Verdrehte Sprache) spricht Bände davon, auch dann, wenn es diesmal nicht mehr um einmal als Skandal empfundene kopulierende Akte, sondern um die aus dem frivol exponierten Hinterteil spiralförmig kriechenden Würmer geht. Diese borstigen, gesichtslosen Winzlinge, die sich hauptsächlich von Bakterien und abgestorbenen Pflanzen ernähren, waren einmal die Lieblingstiere des Begründers der Evolutionstheorie Charles Darwin. Als Bodenaufbereiter können sie heute übrigens der Verhinderung von Sturzfluten dienen. Vermeintlich zur Beruhigung von durch die Ausstellung überhitzten Gemütern dient ein 140 Meter langer und farblich halluzinoid-traumhafter, in rot-grünen Signalfarben gehaltener Vorhang mit einem schleimigen Nacktschnecken-Ensemble als Visualisierung des CoV-2-Virus, der den Ausstellungsraum repräsentativ bzw. theatralisch abschließt. Ist dieser für die „Tragödie Mensch“ bereits entgültig gefallen? Wer etwas mehr von Katastrophen der Ökosysteme erfahren will, die oder der möge sich in den wie ein goldenes Kalb im düsteren Ambiente aufgestellten Pickup Truck, beladen mit posthumanen Mischkreaturen aus Pappmaché, hinsetzen, um Podcasts zu akuten Themen wie Fleisch oder Impfung anzuhören.

Wohin die Reise führt, wird in der Ausstellung nicht verhandelt. Es ist auch nicht ganz nachzuvollziehen, warum eine Künstlerin, Jahrgang 1959, die Teilnehmerin an der documenta (2012) und desgleichen an internationalen Biennalen (z.B. Busan, Liverpool) war und mehrmals in renommierten Museen ausgestellte, „nur“ eine relativ kleine Personale in der Kunsthalle und nicht schon längst eine große Retrospektive etwa im benachbarten Museum bekomment hat. Ines Doujak beschäftigt sich wohl zu wenig mit den nicht abgeschlossenen Modernismen in westlichen Kontexten. Genau das ist aber ihr Verdienst: Neue Narrative zu generieren.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ines Doujak - Geistervölker
01.10.2021 - 16.01.2022

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: