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Natalia LL - The Mysterious World: Instagram auf Analog

1977 reiste die 40-jährige Natalia LL – Polens Avantgarde-Ikone konzeptuell-aktionistischer Prägung – nach New York, wo sie an einer Demonstration für die Rechte sexueller Minderheiten teilnahm. Sie trug dabei eine ihrer in Europa bereits bekannten Fotografien vor sich her aus den erotisch beispiellos provokativen Zyklen Consumer und Post Consumer Art (1972 bis1975), die durch namhafte Feministinnen damaliger Zeit wegen ihrer politisch-sozialen Aktualität hoch geschätzt wurden. Heute wird die in den Medien Fotografie, Video und performativer Installation arbeitende Natalia LL als erste polnische „Queer-Kunst Lady“ angesehen und ihr Schaffen neu rezipiert. Dahingehend gibt es auch in ihrer ersten Retrospektive in Österreich, im Linzer Francisco Carolinum Museum einiges Überraschendes hinsichtlich Gender, Identität, Begehren, Erotik, Selbsterkundung und Selbstoptimierung  in einer Art Instagram-Manier zu entdecken.

Die Karriere von Natalia LL (LL ist lediglich die Abkürzung ihrer beiden Namen und nicht seine Eliminierung wie bei VALIE EXPORT) begann im Jahr der Mondlandung 1969 und der damit einhergehenden Aufwertung medialer Bilder. Dieses historische Event begründet ihr Interesse an der planetarischen Perspektive, die sie, wie auch viele andere Narrative ihrer Kunst anhand ihres eigenen nackten Körpers sowie den ihres Partners untersucht. Sie handelt wohl auch in Übereinstimmung mit einem ökofeministischen Bewusstsein, das bereits damals der Modernisierung und Industrialisierung enormen Schaden an der Umwelt zuschreibt. Die Wahl (des Mediums) eines fotografischen Bildes als Werkzeug für diese Erfahrungen passt auch sehr gut zum persönlichen und intimen Charakter ihrer Werke. Das Foto ermöglicht ihr eine aufschlussreiche Selbstbeobachtung, dann camp-artige Inszenierung und zugleich Distanz. Und so verwischt Natalia LL in der Artificial Photography (1975) im Zuge der mehrfachen Doppelbelichtungen ihrer Persona die Identität einer domestizierten Odaliske auf dem Sofa mit elementarer Sexlust eines Mannes und erreicht damit eine genderspezifische Überschreitung. Bei den sich sequenziell ereignenden Fotos im Rasterrahmen dieser Serie denkt man außerdem nicht nur an duchamp‘sche Gendertricks, sondern heute auch an die Vorwegnahme der Direktheit sexueller Anspielungen z.B. in den Skulpturen von Sarah Lucas mit ihren schaurig-schön bestrumpften Zombie-Subjekten samt diversen Genital-Ersätzen.

Der Streifzug durch „The Mysterious World - Natalia LL“, der sich in 7 Kapiteln von Body Topology über Dreams bis Terror/Destruction abspielt, beginnt mit dem Schriftzug „Natalia ist Sex“. Er ist aus postkartengroßen Fotos aufgebaut, die fragmentierte Aufzeichnungen des Liebesaktes zwischen ihr und dem Partner zeigen. Der an sich konzeptuellen Arbeit wurde damit das Maß einer körperlichen Erfahrung verliehen. Um diese existenzielle Erfahrung und das lustvolle Vergnügen geht es auch in den bereits erwähnten Consumer und Post Consumer Art, die Natalia LL im Ausland berühmt und in ihrer Heimat berüchtigt machten. Die ikonischen Fotografien einer hübschen Frau oben ohne, die den verschiedenen phallischen Nahrungsmitteln und schleimigen Substanzen durch lustvolles Speisen und Schlecken ihre Gebrauchswerte entzieht, verblüffen heute durch ihre visuellen Bild- und Erzählbausteine und quadratischen Formate, die an die erfolgreiche Bildgattung der globalisierten Sozialen Medien - die Optik der Instagram Posts erinnern. Wesentlicher ist allerdings die politische Brisanz dieser Motive im zur damaligen Zeit kommunistischen Polen und ihr widerständiger Charakter. Am stärksten ist dies an den 3-teiligen schwarzweißen Fotografien zu sehen, in der die drei jungen Frauen, vermutlich ein Freundinnen-Kollektiv, spielerisch und erotisierend Würstchen verzehren und damit Ideologiekritik an einem restriktiven Regime der moralischen Enthaltsamkeit ersten Ranges verbreiten. Ihre Mimik und Gestik lässt die „aus einem natürlichen Ausdruck eine gestalterische Leistung“ werden.

Im Sinne solcher Künstlichkeit, die die erfolgreiche Maxime der Kunst von Natalia LL in den 70ern war, arbeitete sie auch in den späteren Phasen ihres Schaffens, wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Die unbeschwerte Art des fleischlich irdischen Genusses und der Verführung durch das Schöne ergänzten in den folgenden Dekaden „dunkle“ bis hässliche Seiten des Realen, wie Tod, Vergehen, Krankheit, Terror (des Unbewussten) und Destruktion. Die als Priester-Schamanin oder Brunhilde verkleidete Künstlerin spricht auch die apotropäische Funktion der Kunst an. In der Transfiguration von Odin Freud überwindend, setzt sie sich einen Bündel Grünkohl als Kopfbedeckung auf und bricht endgültig mit dem Diktat sexueller Binärität. Sie konzentriert sich vermehrt auf den menschlichen Kopf als Ort von allerlei Gedanken, Gefühlen oder irrationaler Grenzsituationen. Und auch in diesen späteren eschatologischen Porträts gelangt Natalia LL zu performativen Formlösungen, die wie in Panicky Terror an Dummies eines Tony Oursler oder an Verwüstungen der aktuellen Pandemie erinnern. Im letzten Raum, wo fünf ihrer Videos gezeigt werden, genießt zum Schluss keiner mehr Bananen, sondern sie werden durch die Künstlerin mit dem Messer bis zur Destruktion schauderhaft penetriert.

Das Display der Ausstellung wirkt, wie seit einiger Zeit durchgängig in diesem Museum stur konform praktiziert, dabei ziemlich überfrachtet mit diversen Wandtexten, wie ein Standardexemplar eines Postmuseums der Instagram-Ära. Die Kurator*innen Nathalie Hoyos und Rainald Schumacher haben sich auf Wandarbeiten von Natalie LL beschränkt und dabei auf eine vollständige Beschreibung der Werke verzichtet, so dass man ein ziemlich geübtes Auge haben muss, um zwischen Original, Abzug oder Nachdruck differenzieren zu können; dadurch geht einerseits die Aura einer Vintage-Fotografie verloren, aber was wesentlich gravierender ist, es wird die regimekritische Rolle der Künstlerin und ihre Vorreiterfunktion innerhalb der Nachkriegsavantgarde verunklärt, wenn auch ihre Fotografie heute aktueller denn je erscheint. Alles ist wie aus einem Guss und die ganze Schau vermittelt den Eindruck eines emotionslos-sachlichen Wikipedia Eintrags. Im gegenwärtigen Postmuseum zählt offensichtlich nicht das Empirische, sondern das „Eingemachte“. Ob diese Devise Zukunft hat, wird sich weisen.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Natalia LL - The Mysterious World
14.04 - 26.09.2021

FC - Francisco Carolinum
4010 Linz, Museumstraße 14
Tel: +43 732 7720 522 00
Email: info@ooelkg.at
https://www.ooekultur.at
Öffnungszeiten: Di-So, Fei 10-18 h


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