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Höhenrausch 2021: Wie im Paradies: To hell with more, we want better

Der diesjährige und damit letzte Linzer HÖHENRAUSCH, kuratiert von Martin Sturm und Rainer Zendron, präsentiert 35 künstlerische Positionen, die den Begriff Paradies ins Bild setzen – eine Aufgabe, die denkbar schwer erfolgreich zu bewältigen ist, vor allem in ihrer Dimension und ihrem angestammten Zweck, den städtischen Tourismus zu fördern und damit (auch) als Marketingstrategie zu funktionieren.

Bereits das Thema als solches lässt sich (2021) ob ihrer bereits in der Geschichte zur Genüge durchgeführten Analyse infrage stellen – weniger die einzelnen künstlerischen Positionen, die in einem solchen Vorhaben Gefahr laufen, instrumentalisiert zu werden. Trotz der „Unterhaltung für die ganze Familie“ geht es sich aus, auch wenn zu hoffen bleibt, dass zukünftig – nach Abschluss dieses mehrjährigen Projekts seit seiner Einführung 2009 im Rahmen des Kulturhaupstadtjahres – die verfügbar werdenden Fördergelder kleine(re)n lokalen Initiativen, Galerien und Off-Spaces zugute kommen werden, und auf derlei – nicht selten schmerzlich abgeflachten – spektakuläre Großprojektenverzichtet wird.

Dennoch: „OMG. Ich wollte schon immer unbedingt hierher. Jetzt habe ich es geschafft, und bin begeistert. Alles ist so ruhig und friedlich – ich bin ganz selig. Halleluja! Himmlische Grüße, Maria“, heißt es auf der auf dem Ausstellungsparcours zu entdeckenden mehrteiligen Postkartenserie „Grüße aus dem Paradies“, Begleittext(e) inklusive: In vielen Religionen gilt der Himmel als eine Sphäre, die übernatürliche Wesen und Erscheinungen beheimatet. Hier wohnen die Götter oder der eine Gott. Er gilt außerdem als „Jenseits“, also der Ort, an dem das Leben nach dem Tod – in größtmöglicher Nähe zu Gott – gelebt wird. Während das Linzer KünstlerInnenkonnektiv Time’s Up „Luxus für alle“ fordert, können/sollen/dürfen BesucherInnen im Schlaraffenland das „Diesseits“ genießen: „Wow! Hier gibt es so viele fantastische Angebote. (…) Kann man auch zu viel Spaß haben? Egal, wir genießen es einfach! Pappsatt grüßen Jakob + Wilhelm.“ Das Schlaraffenland („das Land der faulen Affen“; sluraff: mittelhochdeutsch für „Faulenzer“) wird in volkstümlichen Erzählungen, Märchen und Liedern als Ort beschrieben, an dem alles im Überfluss vorhanden ist. Wer hier – in Häusern aus Kuchen – wohnt, braucht keine Sorgen zu haben. Radical is the new realistic!, postuliert Time’s Up. „Hola! So lange habe ich darauf gewartet, mir diesen Traum zu erfüllen, und jetzt bin ich gar nicht so richtig begeistert. Es ist zwar schön, aber nach allem, was ich schon über diesen Ort gehört habe, hätte ich mir eigentlich mehr erwartet. Aber zumindest war der Weg hierher aufregend – ich hätte es kaum geschafft! Dein Miguel.“

Eldorado – vom Spanischen el (pais) dorado, „das vergoldete (Land)“ – war die Bezeichnung für ein sagenhaftes Goldland in Südamerika. Die kolumbianische Legende, die davon erzählte, ließ spanische Konquistadoren im 16. Jahrhundert zahlreiche Expeditionen in bis dahin unerforschte Gebiete unternehmen. Die bloßen Gerüchte von Goldschätzen reichten dafür als Motivation. Im heutigen Sprachgebrauch wird ein Gebiet, das ideale Gegebenheiten für jemanden oder etwas Bestimmtes bereithält, als Eldorado bezeichnet. Seit Ende des 19. Jahrhunderts kann nahezu jedeR (Glücks)Momente in Vergnügungsparks erleben, die lange das Privileg der Oberschicht waren. Als Ersatz für tatsächliche Ausritte, Fernreisen, Schlitten- und Seefahrten sind dort künstlich reproduzierte Erlebnisse möglich, die eine willkommene Abwechslung im Alltag darstellen. Besonders beliebt sind die mechanischen Fahrgeschäfte, die Gefahrensituationen simulieren und für Nervenkitzel sorgen. Diese Attraktionen machen Vergnügungsparks zu utopischen Traumwelten, in denen wir Abenteuer bestehen und uns genüsslich gruseln können.

In seiner Videoarbeit „Tomorrowland“ (2018) erinnert Yuan Goang-Ming an diesen (magischen) Ort und sorgt für einen Schreckmoment: Ohne Vorwarnung (außer bei vorausgegangener Recherche zur Arbeit) explodiert der Freizeitpark mit einem lauten Knall. Im Loop baut sich Goang-Mings Miniaturmodell, das hier zerstört wird, wieder auf, um erneut in die Luft gesprengt zu werden – wieder und wieder. In einem der anderen Ausstellungsräume steht das einstige Leondinger Großkaufhaus UNO Shopping im Zentrum von Gregor Grafs fotografischer Arbeit „Shopping macht happy“ (2020). In der dargestellten Szene kontrastiert sein Leerstand die glatt polierten Oberflächen des geschlossenen „Konsumparadieses“. Vor erst 30 Jahren eröffnet, liegen nun bereits sechs Jahre die 32.000 m2 großen Einkaufsflächen und die mehrstöckigen Garagenbauten brach. Vergleichbare Leerstände zeigen, dass dies kein Sonderfall, sondern systemimmanent ist. An den Peripherien der Städte wachsen stetig immer schickere, erlebnisorientierte Einkaufstempel aus Äckern und Wiesen, während ähnliche Gewerbeimmobilien nicht weit entfernt leer stehen und verrotten.

„Greetings from Elysium. Toll! Kaum bin ich hier angekommen, waren alle Alltagssorgen vergessen. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich das Glück habe, hier zu sein – das ist schließlich nicht jedem vergönnt! Darum genieße ich jetzt auch umso mehr den herrlichen Aufenthalt und lasse es mir einfach nur gut gehen! Dir würde es bestimmt auch gefallen! Sorglose Grüße von deinem Horaz.“ In das Elysium – griechisch für „das Selige (Feld)“ – kommen nur jene, die von den Göttern geliebt werden. In der griechischen Mythologie ist damit jene „Insel der Seligen“ gemeint, die von dem Strom Okeanos und dem Fluss Lethe – dem Fluss der Unterwelt, dessen nektarähnlicher Trank alles vergessen lässt, was einem im irdischen Leben belastet hat – umschlossen wird. Es herrscht ewiger Frühling im Elysium, und rosengeschmückte Gärten sind durchklungen von Vogelgesang. „Sei bunt, sei anders, sei ein Flamingo!“ (Cyril Lancelin, „flamingo one arch“, 2019) „Es ist wie im Traum! Endlich ein Ort, wo wir so sein können, wie wir wollen. Wir möchten unbedingt so lange wie möglich hier bleiben – am besten für immer! Wünsch dich doch zu uns!“, schreiben Wendy, Peter und Tinkerbell zum Abschluss aus Neverland, einer fiktiven Insel aus der Geschichte „Peter Pan“ von James Matthew Barrie – jenem Ort, an dem Kinder niemals erwachsen werden und wo nur fest an etwas geglaubt werden muss, damit es passiert.

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Titelzitat: Postcards provided by General Authority of Sustainability (timesup.org) als Teil von HÖHENRAUSCH 2021.

Mehr Texte von Bettina Landl

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Höhenrausch 2021: Wie im Paradies
06.05 - 17.10.2021

OÖ Kulturquartier
4020 Linz, OK Platz 1
Tel: +43 732 784178-0
Email: info@ooekulturquartier.at
http://www.ooekulturquartier.at/


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