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documenta. Politik und Kunst: KuDeWe oder Was die Documenta mit einem Berliner Kaufhaus gemein haben könnte

Nächstes Jahr also die documenta fifteen. Und auch 2022 werden sich dann wieder massenhaft kulturbegeisterte Menschen in eine – die Kasseler mögen es einem verzeihen – nordhessische Provinzstadt aufmachen, um der, gäbe es für solche Belange ein Ranking von der Prominenz des Kunstkompasses, wohl weltweit wichtigsten Kunstausstellung beizuwohnen. Doch wie wurde das eigentlich, wie kam es dazu, dass alle fünf Jahre ausgerechnet Kassel für hundert Tage zur internationalen Kunsthauptstadt ausgerufen wird? Wie und warum konnte die Documenta sich seit ihren doch eher bescheidenen Anfängen, als sie 1955 als Appendix zur – damals notabene viel populäreren – Bundesgartenschau startete, von einem sozusagen kulturellen Feigenblatt (worauf noch zurückzukommen sein wird) zu so einem großen Ding auswachsen?

Dieser für das Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik Deutschland alles andere als unwesentlichen Ausstellungsgeschichte nimmt sich aber nun keine Institution aus dem klassischen Kunstfeld an, sondern das Deutsche Historische Museum in Berlin. Das ist einerseits dem Gegenstand durchaus angemessen, birgt aber auch einige (ästhetische) Tücken. Adäquat wirkt es deswegen, weil hier zuvorderst darauf abgehoben wird, die Documenta in ihrer ideologischen Imprägnierung erfahrbar zu machen, ihr untergründiges politisches Programm ans Licht zu holen (nicht umsonst lauter der Untertitel der Schau schließlich „Politik und Kunst“, und zwar genau in dieser Reihenfolge) und sie damit – mit den Zeitläuften wechseln ja auch die politischen Paradigmen – in ihrer eminenten Geschichtlichkeit hervortreten zu lassen. Und das, wo die Gründerväter der Documenta, Arnold Bode und Werner Haftmann, Historizität geradezu als Anathema behandelten: Ihnen lag nämlich daran, die moderne Kunst, an die sie das Publikum – die jahrelange Verfemung als „entartet“ hatte ihre Wirkung durchaus nicht verfehlt – in der ersten, nicht zuletzt retrospektiv und genealogisch angelegten Ausgabe überhaupt erst wieder behutsam heranführen mussten, in ihrer beinahe ausschließlich abstrakten Spielart zum Zug kommen zu lassen, sie also als etwas Überzeitliches, alleine der Innerlichkeit und Freiheit des Einzelnen Unterstelltes, kurz: als eine immerwährende und überall verständliche Weltsprache auszuweisen.

Eine solche Priorisierung bot allerdings gleich mehrere Vorteile auf einmal: Erstens konnte man damit in der Praxis – und das meint vor allem die d2 im Jahr 1959 – demonstrieren, künstlerisch auf dem neuesten Stand zu sein und sich somit auch zivilisatorisch wieder einzugliedern, soll heißen: die zwölfjährige Blut & Boden-Verirrung endgültig abgetan und sich gewissermaßen kulturell vor aller Augen entnazifiziert zu haben; zweitens bedeutete dies zudem, eine transatlantische Brücke zu schlagen – schließlich hatten sich die USA mit dem Abstrakten Expressionismus auch in der Kunst an die Weltspitze gesetzt – und in der bipolaren Nachkriegsordnung sich eindeutig und unverbrüchlich zum Westen zu bekennen und in Amerika dessen Führungsmacht zu beugen; und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges erlaubte dies ferner, nachdrücklich gegen den Sozialistischen Realismus Stellung zu beziehen und mit der Documenta im Kulturkampf der Systeme ein echtes Bollwerk der Freiheit bzw. der freien, autonomen Kunst zu errichten. An dem Punkte sollte vielleicht nicht unerwähnt bleiben, dass Kassels exponierte Lage ganz in der Nähe der damaligen Zonengrenze ohnehin einer der bestimmenden Gründe dafür war, warum sich das offizielle politische Deutschland, und hier vor allem mit Theodor Heuss der erste Bundespräsident der BRD, so für die Documenta stark machte: Man versprach sich von ihr nämlich eine große Strahlkraft bis weit in den Zwillingsstaat DDR hinein, nachgerade einen Leuchtturm-Effekt ähnlich demjenigen des Berliner KaDeWe, das ja auch als glanzvolles und anziehendes Symbol für die systemische Überlegenheit des Kapitalismus in der geteilten Stadt fungieren sollte. Somit wäre es vielleicht nicht einmal übertrieben, im Zusammenhang der frühen Documenta von einer Art KuDeWe zu sprechen; und früh deshalb, weil der Boykott des Sozialistischen Realismus bereits 1977 und damit weit vor dem Mauerfall ein Ende fand, als Kurator Manfred Schneckenburger sensationellerweise DDR-Maler wie Sitte, Tübke, Heisig oder Mattheuer zur Teilnahme bewegen konnte – und das naturgemäß in Folge von Willy Brandts intradeutschen Entspannungsbemühungen, denn die Documenta ist, wie hoffentlich deutlich wurde, immer auch als Spiegelbild der politischen Großwetterlage zu verstehen.

Apropos Nationalsozialismus: Gründervater Haftmann, der ja auch ein vielgelesenes Standardwerk zur Malerei im 20. Jahrhundert vorgelegt hat, war aber, und das ist wahrscheinlich als die besondere Pointe dieser Ausstellung zu bezeichnen, womöglich nicht nur aus kunstpolitischen, sondern auch aus persönlichen Gründen daran interessiert, einen erdenthobenen und überzeitlichen Stil zu propagieren, der jede Konkretheit, jede Wiedererkennbarkeit scheut. Denn der spätere Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin war, wie jüngste Recherchen ergeben haben, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien als Partisanenjäger im Einsatz und wird in diesem Zusammenhang nunmehr mit Folter und sogar Mord in Verbindung gebracht: eine Enthüllung, die ihn jetzt wohl unvermeidlich die Satisfaktionsfähigkeit kosten und ihn auf den akademischen Index befördern wird; endgültig befördern wird, wie man allerdings hinzufügen müsste, denn Haftmann wäre eigentlich auch zuvor schon als Schreibtischtäter auffällig geworden, wenn man nur genau hingehört hätte: Wie sonst wären nämlich Einlassungen zu erklären wie jene (aus seiner Malerei), dass „nicht ein einziger der deutschen modernen Maler Jude“ gewesen wäre – wobei man da jetzt, als Einwendung, nur etwa Namen wie Liebermann, Meidner oder Laserstein erwähnen müsste – oder, leider noch viel phantastischer, jene (aus der Einleitung zum d1-Katalog), dass die in der Hitler-Diktatur verfemten Künstler „in den Untergrund [gingen], in Waschküchen [malten], in verfallenen Fabrikhallen [modellierten] und sich wie die Lilien auf dem Feld [nährten]“. Allein was hätte wohl ein Otto Freundlich zu dieser Dummheit gesagt, den die Nazis vermutlich aus der Waschküche oder vom Feld holten, nur um ihn dann kaltblütig im KZ zu ermorden? Dass solche unhaltbaren Verzerrungen und Verharmlosungen aber nicht nur einer immerhin doch möglichen Unwissenheit entsprangen, belegen die DHM-Kuratoren nun mit dem Beispiel Rudolf Levys, eines deutsch-jüdischen Malers, der den Transport nach Auschwitz nicht überlebte und mit dem Haftmann erwiesenermaßen bekannt war und dessen Schicksal er zumindest erahnen hätte können: unzweifelhaft ein Wirkungstreffer! Doch zielt man hier darauf ab, Haftmann ein für alle Mal zu erledigen und den verdienten Vermittler der „entarteten“ Moderne zu einem unverbesserlichen Antisemiten zu stempeln, dessen Gesinnungstreue sich auch in der Künstlerauswahl manifestiert, wenn er etwa ebenjenen Levy einfach wieder von der vorläufigen Einladungsliste streicht. Aber hätte ein solcher Teufel dann tatsächlich zugelassen, dass ein Marc Chagall – neben Picasso – zum Star der ersten Documenta wird? Oder einen Naum Gabo sowohl zur d1 wie auch zur d2 eingeladen?

Und so bleibt von dieser desideraten Ausstellung am Ende doch ein durchaus geteilter Eindruck: ein ambitioniertes Konzept mit einem weit aufgespannten Zeithorizont – immerhin werden hier über vierzig Jahre deutscher Ausstellungsgeschichte abgehandelt (d1–d10) –, vor dem sich das ausgebreitete Material dann aber gelegentlich zu sehr im Anekdotischen verliert; steile Thesen, die sich, zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand, als vielleicht doch zu spekulativ erweisen; und die Kunst, um die es ja eigentlich im Kern ginge, wird hier eher an den Rand gedrängt und verkommt leider zu oft zur reinen lllustration, zum schmückenden Beiwerk der vorgetragenen Geschichte(n). Und doch: Selten hat man die politischen Verstrickungen der angeblich autonomen Kunst eindringlicher vor Augen geführt bekommen.

Mehr Texte von Peter Kunitzky

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documenta. Politik und Kunst
18.06.2021 - 09.01.2022

Deutsches Historisches Museum
10117 Berlin, Unter den Linden 2
Tel: +49 - (0)30 - 20304 - 444, Fax: +49 - (0)30 - 20304 - 543
http://www.dhm.de
Öffnungszeiten: Täglich 10.00 - 18.00 Uhr


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